ETHistory 1855-2005

010412


Der Minya Konka. Ein Berg als umstrittenes Objekt

Zwei Schweizer Forscher bestimmten 1930 die Höhe eines chinesischen Berges. Nicht 10’000 Meter, wie Gerüchte angaben, sondern nur 7600 Meter über Meer, so lautete das Resultat. Damit war der Mount Everest weiterhin der höchste Berg der Welt.

Im Jahr 1929 hielt sich der Geologe Arnold Heim an der Sun-Ya-Tsen-Universität in Kanton auf. Zuvor war der Sohn Albert Heims von 1908 bis 1911 und wieder von 1924 bis 1928 Privatdozent für Geologie an der ETH Zürich gewesen. Jetzt unternahm er im Auftrag der chinesischen Regierung geologische Exkursionen auf der Suche nach Bodenschätzen. Dabei kamen ihm Schilderungen von einem "namenlosen vereisten Riesenberg" von 30'000 Fuss (ca. 10'000 Metern) Höhe zu Ohren, den der amerikanische Forschungsreisende Joseph F. Rock entdeckt haben sollte. Nach Rocks Rückkehr in die USA ging im März 1930 die Meldung um die Welt, es sei ein Berg entdeckt worden, der höher als der Mount Everest sei. In der Oktoberausgabe des National Geographic gab Rock 1930 die Höhe des "Minya Konka" zwar mit 7800 Metern an, doch das Gerücht seiner spektakulären Höhe hielt sich hartnäckig.

Arnold Heim (stehend) mit chinesischen Geologen, 1930.
Arnold Heim (stehend) mit chinesischen Geologen, 1930.
Heim wollte es genau wissen, doch präzise Angaben fehlten. Die damals vorhandenen britischen Karten des Survey of India, so stellte er fest, gaben "ganze Schneegebirge" an, "die wir in der Natur vergeblich suchten, während umgekehrt das Gebirge des Minya Gonkar mit seinen Firnen, ... noch nicht einmal angedeutet ist." Auch bei Sven Hedin und bei Ferdinand Freiherr von Richthofen, den beiden führenden Experten der Geologie und Geografie Chinas, fand er keine Hinweise. Ende 1929 entstand die Idee einer Expedition.

Der Geologe Heim gewann die Leitung der Sun-Ya-Tsen-Universität für das Projekt und schrieb umgehend nach Zürich, von wo er sich das nötige topografische Know-How versprach. "An einem trüben Spätnachmittag" im Januar 1930 stattete der Vater Arnolds, Albert Heim, dem fünf Jahre zuvor gegründeten Institut für Kartografie der ETH Zürich einen Besuch ab. Er schlug dessen Leiter, Eduard Imhof, vor, mit dem neuesten Fototheodoliten der Firma Wild nach China zu reisen. Imhof liess sich nicht lange bitten: "Für einen Topographen und Geographen ist nichts so berückend wie ein grosser, leerer Fleck in der Landkarte, eine weisse Lücke mit der Bezeichnung 'unsurveyed unerforscht'. Da muss man hinein!"

Am 24. Mai 1930 erreichten Imhof und sein Assistent Paul Nabholz Hong Kong, trafen bald darauf mit Arnold Heim zusammen und zogen in das unbekannte Gebirge. Bis Ende Oktober wanderten sie "messend und zeichnend" durch abgelegene Täler und über vereiste Pässe. Anschliessend reisten sie nach Schanghai, von wo Imhof via Peking mit der "sibirischen Eisenbahn" nach Europa zurückkehrte. Mitte Februar 1931 war er wieder in seinem ETH-Institut.

Eduard Imhof (rechts) mit Topografen im chinesischen Schnee, 1930.
Eduard Imhof (rechts) mit Topografen im chinesischen Schnee, 1930.

Die Entdeckungsreise stand unter einem schlechten Stern. Der Geologe Heim und der Topograf Imhof verstanden sich nicht besonders gut. Immer wieder trennten sie sich und führten ihre eigenen Expeditionen. Die Vorbereitungen waren überstürzt, die Geldmittel knapp und die Ausrüstung ungenügend. Vor allem aber fiel das Unternehmen in die turbulente Zeit nach der Nationalen Chinesischen Revolution. Die unklaren Machtverhältnisse – Tschiang Kai-Schek versuchte ab 1930 vergeblich, die 1928 gegründete Rote Armee unter Mao Tse-Tung zu schlagen – führten zu grosser Unsicherheit auf dem Land. Mehrmals wurde die Expedition von Banditen überfallen.

Die chinesischen Auftraggeber verloren ihr unmittelbares Interesse an den Ergebnissen der Forscher. Wohl gelang es Heim und Imhof, das Minya Konka-Gebirge zu vermessen und die Höhe des Berges auf 7600 Meter zu bestimmen, aber eine offizielle Karte gaben die chinesischen Behörden, die das Erstpublikationsrecht an den Ergebnissen besassen, nicht heraus. Heim veröffentlichte 1933 einen Expeditionsbericht in "allgemein verständlicher Form", dem eine Kartenskizze beigegeben war. Eduard Imhof dagegen publizierte seine Aufnahmen erst 1974, mehr als 40 Jahre nach der Expedition.

Daniel Speich


Materialien

 

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