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Forschungspfade

     
           
 

Forschungspfade. Disziplinenentwicklung und Wissenschaftsalltag an der ETH

Hochspannungswiderstand im Bau. Elektrotechnisches Institut 1935.
Hochspannungswiderstand im Bau. Elektrotechnisches Institut 1935.
Die Professoren des Polytechnikums betrieben seit 1855 an vielen Orten Wissenschaft, am Schreibtisch und in Fabrikwerkstätten, im Hörsaal und auf Exkursionen. Die für die Technikerausbildung geforderte Praxistauglichkeit der Lehrinhalte konkurrierte dabei mit Theoriefragen oder der mathematischen Formalisierung von Konstruktionsproblemen.
Die Chemieschule merkte wohl als erste, dass sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Erwartungen der schweizerischen Industrie, aber auch die eigenen disziplinären Standards radikal der Zukunft öffneten. Neue chemische Stoffe oder Produkte konnten nicht erreicht werden, ohne dass Innovationen und neues Wissen konsequent verfolgt wurden. Private und staatliche Gelder flossen nun vermehrt in die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis.
Zahlreiche Laboratorien wurden ausgebaut und experimentelle Apparaturen entwickelt oder angeschafft. Die traditionelle 'Ingenieurkunst' verwissenschaftlichte sich nicht zuletzt dadurch, dass sie am Bau dieser Instrumente selbst beteiligt war. Damit war ein Wandel in den polytechnischen Selbstbeschreibungen eingeläutet, der sich dann im frühen 20. Jahrhundert vollzog. Heute präsentiert sich die ETH als Forschungsuniversität.
   
  !!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!    
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Die Einheit von Lehre und Forschung

Die Rede von der Einheit von Lehre und Forschung ist seit Wilhelm von Humboldts Skizze zur preussischen Hochschulpolitik 1810 ein Dogma universitärer Selbstbeschreibung. Der Universitätsprofessor verkörperte diese Vorstellung. Mit dem Charisma des Meisters führte er Neulinge in die Probleme und Methoden wissenschaftlicher Forschung ein. Dies geschah vor allem im ganz auf den Professor zugeschnittenen Hörsaal. Der Wissenschaftssoziologe Rudolf Stichweh weist darauf hin, dass die Definition der professoralen Lehre als Forschung in eine Reihe von Unteilbarkeitsideen eingebettet war. 'Wissenschaft' ist als systematische Einheit definiert und die Universität der Ort, der die Zusammengehörigkeit aller Wissenschaften symbolisiert. Am Polytechnikum pflegten vor allem die klassischen Universitätsdisziplinen dieses Selbstbild.
Prof. Emil Baur liest physikalische Chemie,  um 1940.
Prof. Emil Baur liest physikalische Chemie, um 1940.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Wissenschaftspraktiken im Wandel

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erlebten naturhistorische Sammlungen, die klassischen Medien der wissenschaftlichen Anschauung, ihre Blütezeit. Der sich rasch verändernde Wissensstand, aber auch pragmatische Gründe forderten die Sammlungsordnung immer wieder aufs Neue heraus. Parallel dazu verschoben sich auch die Ansichten darüber, was unter 'Naturwissenschaft' oder 'Forschung' zu verstehen sei. Die Bedeutungsverschiebung war eng mit einem Ortswechsel verbunden: Das naturwissenschaftliche Labor wurde für die Wissenserzeugung entscheidend. Dort wurden anhand immer neuer technischer Apparaturen chemische, physikalische und biologische Strukturen und Phänomene experimentell isoliert, visualisiert und analysiert.
Die Technikwissenschaften schlossen mit Hilfe des Labors an die neuen naturwissenschaftlichen Standards an.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Reine und angewandte Forschung

Versuchsaufbau im ETH-Windkanal 1955
Versuchsaufbau im ETH-Windkanal 1955
"Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie" – Dieser Gemeinplatz wird allen möglichen Denkern zugeschrieben: Immanuel Kant, Kurt Lewin oder Albert Einstein. Wissenschaftler bezeugen mit dem Bonmot, dass sie die Regeln ihres Feldes kennen und sich von ihnen zu distanzieren wissen. Sie unterlaufen auf diese Weise die interne Differenzierung, die mit dem Aufstieg der Forschung einhergegangen war, die Unterscheidung zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung.

Schon um 1900 und dann vor allem nach dem Ersten Weltkrieg war eine stärkere Anwendungsorientierung zu beobachten.

Dies lief dem Wunsch nach akademischer Einheit zuwider. Kulturpessimistische Positionen verteidigten als Reaktion darauf die Einheit der Wissenschaften. Die Diskussion begleitete die ETH das gesamte 20. Jahrhundert hindurch. Niemand hat letzte Definitionskriterien zur Hand und häufig wird darüber politisch entschieden.

   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Wissenschaftsnetze

Geselliger Teil der regelmässig von Paul Scherrer organisierten Physikertagungen in Zürich. Otto Stern und Wolfgang Pauli, Nobelpreisträger von 1943 und 1945, auf dem Zürichsee. Aufnahme um 1935.
Geselliger Teil der regelmässig von Paul Scherrer organisierten Physikertagungen in Zürich. Otto Stern und Wolfgang Pauli, Nobelpreisträger von 1943 und 1945, auf dem Zürichsee. Aufnahme um 1935.
Die Professorennachlässe im ETH-Archiv veranschaulichen besonders eindrücklich, dass Wissenschaft auf persönlichen, zeitintensiven Beziehungen basiert. Manche privaten Briefwechsel mit Kollegen nehmen mehrere Laufmeter in den Regalen in Anspruch. Die korrespondierend geknüpften Wissenschaftsnetze werden durch Kommunikationsforen wie Fachzeitschriften und Konferenzen weiter verdichtet.
In nationalen und internationalen Grossforschungsprojekten ist das Vernetzungsprinzip nicht mehr primär personengebunden. Hier geben teure, personalaufwändige und zumeist nur interdisziplinär zu bedienende Forschungsapparaturen die Struktur der Wissenschaftslandschaft vor. Zudem bestimmen politische, militärische und industrielle Akteure die Forschungsprogramme mit.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Life Sciences

Die konzeptionelle Offenheit des Kurztitels "Life Sciences" steht in Wissenschaftspolitik und Forschungsförderung hoch im Kurs: "Als Wissenschaften, die sich mit Leben in all seinen Erscheinungsformen befassen, weisen Life Sciences eine breite Disziplinenvielfalt mit offenen Grenzen auf", bestätigt das Web-Portal "Life Science Zürich", auf dem sich aktuell mehr als 100 Institutionen, von der Professur zum Museum, vernetzt wissen wollen.

"Life Science Zürich" vertraut den Bildern des Web-Künstlers Demian Vogler. Illustration des Functional Genomics Center Zürich.
"Life Science Zürich" vertraut den Bildern des Web-Künstlers Demian Vogler. Illustration des Functional Genomics Center Zürich.

Die Faszination für die Erforschung 'des Lebens' setzte unmittelbar nach 1945 ein. Die Vokabel erlaubte es den Wissenschaftlern, die Wissensdimension der kleinsten Massstäbe, wie die atomare und molekulare Ebene häufig genannt wurde, von der zeitgenössisch beherrschenden Erfahrung des Atombombeneinsatzes im Zweiten Weltkrieg abzusetzen. Naturwissenschaften und Technik waren Mitte des 20. Jahrhunderts eine qualitativ neue und weithin sichtbare Allianz eingegangen: Auch für die Life Sciences hatte sich die Technisierung als konstitutiv erwiesen.

   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
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Wissenschaftlicher Ruf und andere Arten von Berühmtheit

Eine neu entwickelte Panoramakamara inszeniert den ETH-Lesesaal 1955 als Kathedrale des Wissens.
Eine neu entwickelte Panoramakamara inszeniert den ETH-Lesesaal 1955 als Kathedrale des Wissens.

In der Wissenschaft sind Objektivität und exzellente Forschungsleistungen die zentralen Faktoren bei der Zuweisung von Renommee. Aber andere gesellschaftliche Instanzen bewerten die Reputation von Wissenschaftlern ebenfalls – und zwar nach eigenen Massstäben.
So äussern sich Wissenschaftlerinnen nicht nur in Fachzeitschriften: Auch das Fernsehen verpflichtet bestimmte Experten zu Stellungnahmen oder berichtet über Nobelpreisträger. Wissenschafts- und Kunstbetrieb weisen Parallelen auf und Wissenschaftsdisziplinen lassen sich in mancher Hinsicht als Glaubenssysteme interpretieren. Dabei folgen Glaubensgemeinschaften, Kunst und Massenmedien bei der Vergabe ihrer Wertschätzung und Aufmerksamkeit eigenen Regeln. Diese können mit der akademischen Reputation konkurrieren oder – wie bei Albert Einstein, Gottfried Semper und Wolfgang Pauli – die Berühmtheit noch steigern.