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Konjunkturkurven

     
           
 

Konjunkturkurven. Die ETH im Schnittfeld industrieller Beziehungen

Seit 1855 produziert das Polytechnikum Wissen, für den Markt der Wissenschaft ebenso wie für den Markt der Industrie. Zwischen technischer Hochschule und Industrie bestand von Anfang an eine wechselseitige Abhängigkeit: Die ETH versorgt die industrielle Praxis mit Ingenieuren, Patenten und Instrumenten. Die Privatwirtschaft sowie die Kantonsregierungen unterstützen die Forschungen der ETH mit Drittmitteln. Bei allem gegenseitigen Interesse gibt es allerdings auch grundsätzliche Differenzen: Während Wissenschaftler mit der Veröffentlichung von Forschungsresultaten punkten müssen und der freie Austausch von Argumenten zum akademischen Selbstverständnis gehört, ist die Privatwirtschaft notwendigerweise an Monopolisierung und Geheimhaltung von Wissen interessiert.
   
  !!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!    
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Konjunkturkurven

     
           
 

Das umstrittene Prestige der Techniker

Mit den polytechnisch ausgebildeten Ingenieuren entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein neuer Berufsstand, dessen gesellschaftliche Positionierung sich nicht reibungslos vollzog. Um ihre Akzeptanz zu verbessern, gründeten Polytechnikums-Abgänger eigene Interessengruppen wie die Gesellschaft ehemaliger Polytechniker GEP, die sich für die Berufs- und Bildungsansprüche der neuen Elite stark machten. Auch die akademische Weihe, welche die technischen Hochschulen Anfang des 20. Jahrhunderts erhielten, schuf zunächst keine eindeutigen Statusverbesserungen. Insbesondere der Erste Weltkrieg förderte eine antitechnische Kulturkritik, welche die Techniker in Begründungszwang brachte. Demgegenüber verfochten publizierende Ingenieure einmal mehr das Argument des "Kulturwerts der Technik", so auch der ETH-Professor Aurel Stodola in seiner 1931 erschienenen "Weltanschauung vom Standpunkte des Ingenieurs".
Wunschbild: Der Ingenieur als galanter Brückenbauer.
Wunschbild: Der Ingenieur als galanter Brückenbauer.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 

 
 
   
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Konjunkturkurven

     
           
 

Wissenschaftlich-technische Raumverwaltung

Ein früher Praxisbezug des Polytechnikums ergab sich aus der Aufgabe, dem schweizerischen Bundesstaat beim Aufbau einer nationalen Infrastruktur behilflich zu sein. Als zukunftsorientierte Einrichtung stützte die eidgenössische Techniker-Schule die Anlage und langfristige Sicherung grosstechnischer Systeme. Während des 19. Jahrhunderts war das Polytechnikum eng an die Entwicklung bundesstaatlicher Machtstrukturen und volkswirtschaftlicher Definitionsmonopole gebunden. Es kann deshalb als Regierungsinstrument verstanden werden, das polytechnisches Wissen zuhanden der Industrie sowie der Verwaltung als Entscheidungsgrundlage sammelte und bereithielt. Eine der frühesten Dienstleistungen für die Verwaltung lag auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Materialprüfung.
Infrastrukturausbau: Kirchliche Einsegnung der alten Staumauer des SBB-Kraftwerks Barberine (VS) , 13. September 1925.
Infrastrukturausbau: Kirchliche Einsegnung der alten Staumauer des SBB-Kraftwerks Barberine (VS) , 13. September 1925.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Konjunkturkurven

     
           
 

Investitionen der Industrie

Ein besonderes Merkmal des nationalen Innovationssystems der Schweiz ist der grosse Beitrag der Industrie an die Forschungsfinanzierung. Die finanziellen Engpässe, welche die technische Hochrüstung der Naturwissenschaften im 20. Jahrhundert erzeugten, überstiegen sowohl die  Kapazitäten der Hochschule wie auch einzelner Unternehmen. In den 1930er-Jahren stellten die breit getragenen Stiftungen und Fonds der Privatwirtschaft eine neue Form der Wissenschaftsförderung dar. Mit ihrer projektorientierten Vergabe hatten sie einen prägenden Einfluss auf die Forschungsorganisation. Ebenso innovativ waren die mischfinanzierten Institute, die in der Zwischenkriegszeit entstanden. Die neuen Finanzierungssysteme ermöglichten es dem Staat, die  Investitionsrisiken für erfolgversprechende Forschung mit einer oder mehreren Industriebranchen zu teilen.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Zwischen Markt und Wissenschaft

ETH-Abgänger im Feld: Ingenieure besichtigen Baugelände, Bild aus dem Nachlass von Ingenieur Walter Graf.
ETH-Abgänger im Feld: Ingenieure besichtigen Baugelände, Bild aus dem Nachlass von Ingenieur Walter Graf.
Ein Aspekt des Austausches zwischen Industrie und Hochschule besteht darin, dass die ETH industrielle Wissensbestände in generalisierter Form in die Praxis (zurück)gibt. Dazu musste sich die Schule stets zugleich an den Regeln der Wissenschaft und des Marktes ausrichten. So etwa ging mit den Laboratoriumsgründungen der 1880er- und 1890er-Jahre eine Experimentalisierung der Theorie einher. Gleichzeitig musste die Anschlussfähigkeit abstrakter Wissensformen an die industrielle Praxis immer wieder neu hergestellt werden. Die Organisationsentwicklung des Polytechnikums vollzog sich daher im Spannungsfeld der Institutionen Schule, Fabrik und Labor. Die Herausforderung der ETH bestand darin, das Verhältnis dieser Trias auszutarieren und federführend zu koordinieren.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Grenzgänger

Die Beziehungen zwischen Hochschule und Industrie müssen gepflegt werden: Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie sind in innovativen Forschungsbereichen nicht selten anzutreffen. Bei den Akteuren des Hochschulbetriebs versammeln sich implizites Wissen und Kontakte, Instrumente und Problemstellungen, Gelder und Ämter. Diese personellen Schnittstellen erwiesen sich nicht selten als produktive Arrangements. Es verwundert daher kaum, dass der Wissenschaftsbetrieb noch immer sehr personenorientiert funktioniert: Institutionelle Veränderungen fallen meist mit personellen Neubesetzungen zusammen.
Eine besondere Stellung nahmen industrienahe Schulratspräsidenten wie Robert Gnehm oder Arthur Rohn ein. Mit engen Kontakten zur Politik und zu ihren Herkunftsprofessionen verbanden sie die Felder Wissenschaft, Politik und Industrie in Personalunion.
Initiativer Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie: Büste des Schulratspräsidenten Arthur Rohn (1878-1956), ETH Hauptgebäude.
Initiativer Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie: Büste des Schulratspräsidenten Arthur Rohn (1878-1956), ETH Hauptgebäude.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 

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Die Ökonomisierung der Wissenschaft

Sind heutige Hochschulen nicht mehr "Orte des freien Denkens", sondern vielmehr "Firmen zur Produktion von Wissen"? Ist die Rede von der "Kommerzialisierung" und "Kapitalisierung" der Wissenschaft eine treffende Zeitdiagnose? Seit den 1990er-Jahren zeichnen sich neue Durchlässigkeiten zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ab: Mit verbessertem Technologietransfer sollen Innovationen gefördert werden, Naturwissenschaftler müssen immer häufiger Managementqualifikationen nachweisen. Gleichzeitig aber wird das industrielle Sponsoring der akademischen Forschung sehr aufmerksam beobachtet: Die freie Kommunikation ist nicht nur eine vitale Voraussetzung der Wissenschaft, sie ist in das kulturelle Selbstverständnis demokratischer Gesellschaften tief eingebettet.
Marktorientierte Konkurrentinnen oder akademisches Power Couple: Kuppeln von Uni und ETH Zürich im Schnee, 1980er-Jahre.
Marktorientierte Konkurrentinnen oder akademisches Power Couple: Kuppeln von Uni und ETH Zürich im Schnee, 1980er-Jahre.

Die gegenseitige Annäherung produziert somit auch neue Abgrenzungen: Sie stärkt den Wert der wissenschaftlichen Neutralität, denn darauf fusst die Autorität und Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Expertisen.