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Politkarrieren

     
           
 

Politkarrieren. Die ETH im gesellschaftspolitischen Kontext

Am 7. Februar 1854 wurde die Gesetzesvorlage für eine in Zürich zu errichtende "eidgenössische polytechnische Schule in Verbindung mit einer Schule für das höhere Studium der exakten, politischen und humanistischen Wissenschaften" vom Nationalrat gutgeheissen.

Dem Gründungsbeschluss für das Polytechnikum gingen aufwändige Evaluationen voraus. Im Jargon der Zeit sollte eine "die besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse unseres Volkes" berücksichtigende Schule "ins Leben treten". Ausländische Vorbilder und kantonale Vorgaben, wissenschaftliche Ansprüche und industriell-gewerbliche Interessen sollten sich in der "vaterländischen Anstalt" zu einer betont "eidgenössischen" Lösung verbinden.

Verfolgt man die politische Karriere der ETH von der nationalen Technikerschule bis hin zur internationalen Forschungsuniversität, zeigen sich vielfältige Wechselwirkungen zwischen Hochschule und Gesellschaft.
Eingebettet in eine traditionsreiche Landschaftskulisse: Luftaufnahme der ETH Hönggerberg, Anfang der 1970er-Jahre.
Eingebettet in eine traditionsreiche Landschaftskulisse: Luftaufnahme der ETH Hönggerberg, Anfang der 1970er-Jahre.
   
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Politkarrieren

     
           
 

Das Polytechnikum als bundesstaatliches Nischenprodukt

Im Frühjahr 1854, als die eidgenössischen Räte über die Ausgestaltung des Hochschulartikels debattierten, gab das "Gespenst" einer nationalen Universität mehr zu reden als das Projekt eines Polytechnikums. Insbesondere die Westschweiz befürchtete eine "Germanisirung" der Hochschulbildung. Das eidgenössische Polytechnikum, auf dessen Errichtung man sich schliesslich einigen konnte, weckte weniger grosse Ängste. Die neue Bildungsstätte sollte in erster Linie dem noch sehr abstrakten Verfassungskonstrukt des Bundesstaates bei seiner Realisation behilflich zu sein: Eine auf die schweizerischen Bedürfnisse zugeschnittene Ingenieur-Hochschule würde den Aufbau von technischen Infrastrukturen beschleunigen und die Karrierechancen einer nationalen Elite verbessern. Als innovativ galt das zwischen ausländischen Vorbildern und nationalen Ansprüchen vermittelnde Fächerangebot.
Zukünftige Funktionselite: Ingenieurschule des Polytechnikums, um 1870.
Zukünftige Funktionselite: Ingenieurschule des Polytechnikums, um 1870.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Politkarrieren

     
           
 

Repräsentationspflichten und Berufungspolitik

Wissenschaft und Nation stehen in einem komplizierten Verhältnis zueinander: Zum einen strebt die Wissenschaft nach internationaler Verständigung und universeller Gültigkeit, zum anderen ist die Entstehung moderner Bildungs- und Forschungsinstitutionen eng mit dem Aufstieg der Nationalstaaten verbunden. Als erste eidgenössische Hochschule war das Polytechnikum von Anfang an mit nationalen Repräsentationspflichten konfrontiert. Nicht nur während der Debatten der Gründerjahre, in denen über den Standort und die Unterrichtssprachen verhandelt wurde, spielte die politische Symbolik eine wichtige Rolle. Auch bei den Berufungen zeigen sich staats- und gesellschaftspolitische Konjunkturen. Während das Polytechnikum in den ersten Jahrzehnten seines Betriebs zahlreiche ausländische Dozenten rekrutierte, zeichnete sich mit dem verschärften Nationalismus der Zwischenkriegszeit eine "Helvetisierung" des Lehrkörpers ab.
Das Zürcher Polytechnikum im nationalmythologischen Hochgebirge: Ansichtskarte von 1906.
Das Zürcher Polytechnikum im nationalmythologischen Hochgebirge: Ansichtskarte von 1906.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Politkarrieren

     
           
 

Landesverteidigung und Männerbünde

Dem eidgenössischen Polytechnikum und dem schweizerischen Offizierskorps werden enge personelle und institutionelle Verflechtungen nachgesagt. Stärker noch als der 1878 eingerichtete Lehrstuhl für Militärwissenschaften erwiesen sich die Studentenverbindungen, die im späten 19. Jahrhundert vermehrt in der Form von Männerbünden auftraten, als dienliche Sozialisationsinstanzen. Der elitäre Habitus, den sich die korpsstudentisch geschulten Akademiker anerzogen, galt insbesondere dem Militarismus der Jahrhundertwende als ideale Führungsgrundlage.
In der Schweiz des 20. Jahrhunderts blieb Landesverteidigung nicht auf das Militär beschränkt: Mit dem bundesrätlichen Aufruf zur "geistigen Landesverteidigung" sollten "Sinn und Sendung des eidgenössischen Staatsgedankens" gestärkt werden. Mit ihrer Omnipräsenz an der Landi 1939 sowie mit der Einführung von öffentlichen "Freitagsvorträgen" stellte sich die ETH in den Dienst des staatlichen Propagandakonzepts.
Militär und Germanistik unter einem Hut: Karl Schmid, 1957–59 Rektor der ETH.
Militär und Germanistik unter einem Hut: Karl Schmid, 1957–59 Rektor der ETH.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Politkarrieren

     
           
 

Das Traktandum Wissenschaftspolitik

In der Schweiz war das Bildungs- und Hochschulwesen traditionell Sache der Kantone. Auf nationaler Ebene war die ETH über lange Zeit das einzige Instrument zur Forschungsförderung. Allerdings wurde diese wissenschaftspolitische Steuerungsmöglichkeit von der Politik zunächst kaum genutzt. In den Zwischenkriegsjahren bemühte sich der Bundesrat erstmals, die nationale Volkswirtschaft durch den gezielten Einsatz von Forschungsgeldern anzukurbeln. Der erste Versuch, einen "Schweizerischen Nationalfonds" zu gründen, scheiterte Anfang der 1940er-Jahre am Widerstand der Universitäten.
Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung: Gründungszeremonie am 1. August 1952 in Bern.
Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung: Gründungszeremonie am 1. August 1952 in Bern.

Die Nachkriegszeit brachte die Schlagwörter vom "Bildungsnotstand" und vom massiven Nachholbedarf der Schweiz. Die nationalen Initiativen zur Bildungs- und Wissenschaftsförderung, die seit den 1960er-Jahren lanciert wurden, relativierten die Monopolstellung der ETH Zürich. Gleichzeitig profitierten die mittlerweile zwei eidgenössischen technischen Hochschulen weiterhin von ihrem Sonderstatus als direkt dem Bund unterstellte Forschungsinstitutionen.

   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 
 
   
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Politkarrieren

     
           
 

Contested Science: Wissenschaft unter Legitimationsdruck

1964 diagnostizierte der spätere Präsident des Wissenschaftsrates, Max Imboden, ein "helvetisches Malaise": Politische Fragen würden allzu oft als technische Sachzwänge dargestellt. Der gesellschaftlichen Elite fehle der Gestaltungswille und das Land habe einen enormen Reformbedarf. Wenige Jahre später gerieten die Dinge in Bewegung. Neue ausserparlamentarische Oppositionen verunsicherten das politische Gefüge. Im Zuge einer generellen Kritik an den Institutionen wurde auch die Demokratisierung der Wissenschaft gefordert. Auch wenn der Kampf um mehr studentische Mitbestimmung zunehmend zu einem Nebenschauplatz wurde, forderte die kritische Öffentlichkeit der 1970er-Jahre die Wissenschaft doch nachhaltig heraus. Seit dem Protest gegen die Atomtechnologie sind die Forschenden mit deutlichen Autoritätsverlusten konfrontiert, neue Legitimations- und Kommunikationsstrategien sind gefragt.
"Für eine Universität im Dienste der Werktätigen!" Die Studenten- und Jugendbewegungen der 1970er-Jahre versuchten die Gewichte zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft neu zu verteilen.
"Für eine Universität im Dienste der Werktätigen!" Die Studenten- und Jugendbewegungen der 1970er-Jahre versuchten die Gewichte zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft neu zu verteilen.
   
 
   
 
 
 
 
 
 
   
 
 
 
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Politkarrieren

     
           
 

Der Global Player in der Champions League

Heute versteht sich die ETH als global player, als weltgewandter Lehr- und Forschungsbetrieb. Die internationale Ausrichtung hat lokale Bezüge verblassen lassen. Doch noch immer wird mit nationalen Grenzen gerechnet: Brain drain oder brain gain? Exzellenzgewinn oder Investitionsverlust?

Traditionsreiche Einrichtungen wie der Nobelpreis oder marktförmige Informationssysteme wie die Hochschul-Rankings verdeutlichen die immer noch paradoxen Verflechtungen zwischen Wissenschaft und Nation: Der internationale Kommunikationsraum der scientific communities ist immer auch ein Forum für nationale Konkurrenz. Der Anspruch der Wissenschaft auf objektive und universale Gültigkeit ist nach wie vor in zeitspezifischen Strukturen verankert.
"Die ETH Zürich soll ein Ort sein, an dem Menschen aus dem In- und Ausland exzellente Forschung und Lehre auf höchstem Niveau betreiben": Aus dem Leitbild der ETH, Jahresbericht 2002.
"Die ETH Zürich soll ein Ort sein, an dem Menschen aus dem In- und Ausland exzellente Forschung und Lehre auf höchstem Niveau betreiben": Aus dem Leitbild der ETH, Jahresbericht 2002.