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Die Reform der Reformkommission

Während die Revolution ihre Kinder frisst, muss die Reform auf ihrem langen Weg durch die Institutionen mit zwei Gefahren umzugehen wissen. Erstens riskiert sie, an der Beschäftigung mit sich selber zu scheitern, und zweitens droht sie vom System, das sie reformieren wollte, geschluckt zu werden. An der ETH geschah zwischen 1970 und 1987 beides gleichzeitig.

"Was für die Kirche gilt, nämlich: Ecclesia semper reformanda, das gilt auch für die ETH." So grundsätzlich erklang das Lippenbekenntnis eines Mitglieds des eidgenössischen Schulrates, als sich dieses Gremium Ende 1977 zu einer "Aussprache" mit dem Präsidenten der Reformkommission genötigt sah. Professor Heinrich Baggenstos wusste, dass er in delikater Mission antreten musste – seine Kommission hatte eben eine Standortbestimmung verfasst, dazu eine Pressekonferenz abgehalten und das Dokument dem Bundesrat und allen Parlamentariern zukommen lassen. Die Reformkommission agierte in den Augen des Schulrates unbotmässig, denn sie bewegte sich ausserhalb des Dienstweges. Allerdings wurde sie eben deswegen überhaupt wahrgenommen, sogar im Fernsehen und in der Oberbehörde.

Selbstironische Zoologie des Konferenztisches der Reformkommission. V.l.n.r.: Streiter, Positiver, Alleswisser, Redseliger, Schüchterner, Ablehnender, Uninteressierter, "Das grosse Tier", Ausfrager.
Selbstironische Zoologie des Konferenztisches der Reformkommission. V.l.n.r.: Streiter, Positiver, Alleswisser, Redseliger, Schüchterner, Ablehnender, Uninteressierter, "Das grosse Tier", Ausfrager.

Ursprünglich war die Kommission 1970 genau dafür eingerichtet worden, dass man ihre Vorschläge zur Kenntnis nehmen würde. Die Idee zur Gründung der Reformkommission stammte von der legendären Gemischten Kommission. Diese wiederum war aus tiefer Not geboren – ein Kind jener institutionellen Krise, die sich aus dem Erfolg des studentischen Referendums gegen das ETH-Gesetz 1969 entwickelt hatte. Der Ausgang der Abstimmung hatte so viele hochschulpolitische Prämissen in Frage gestellt, dass sich allgemeine Ratlosigkeit auch bei wetterfesten Repräsentanten des Hochschulsystems breit machte. Es war dringend nötig, die Vertreter divergierender Interessen am runden Tisch zu versammeln. Auf Einladung von Rektor Pierre E. Marmier nahmen in der Gemischten Kommission seit Februar 1970 je vier Professoren, Assistenten und Studenten Einsitz, um grundsätzliche Fragen der Hochschulgestaltung, der Mitsprache und der Mitwirkung zu besprechen. Das brauchte Zeit, und die Gemischte Kommission schlug deshalb die Gründung einer permanenten Reformkommission vor, eine Mischung aus institutionalisierter Reformabsicht, think tank der Besten, besonders legitimierter Ständevertretung und allgemeinem Hochschulparlament.

Die Notwendigkeit, an einem konsensfähigen ETH-Gesetz zu arbeiten, verstand die Reformkommission Anfang der 1970er-Jahre durchaus als positive Herausforderung. Man wollte das neue Gesetz auf ein breites Fundament stellen und dafür im so genannten ETH-Modell 1971 fast schon eine neue ETH, zumindest aber eine neue Sprache entwerfen.

"Der Beschrieb des Modells bemüht sich, für neue Begriffe Bezeichnungen zu verwenden, die nicht in der geltenden Ordnung gebraucht werden. Es lässt sich aber nicht vermeiden, bekannte Ausdrücke aufzunehmen, auch wenn sie sich nicht auf den gleichen Sachverhalt beziehen."

(ETH-Modell 1971, 7)

Daneben beschäftigte man sich intensiv mit neuen Institutsreglementen, dem Regulativ der Forschungskommission, Fragen der Mitsprache bei Professorenwahlen und der Veröffentlichung der Rechtsnormen. Transparenz, Information und Diskussion waren die Schlagwörter in den Vernehmlassungen. Erst als 1975 die Verlängerung der Übergangsregelung um weitere fünf Jahre einerseits deutlich machte, dass wohl nicht sehr bald mit einem neuen ETH-Gesetz zu rechnen sein würde und andererseits klar wurde, dass die ersten fünf Jahre einen relativ geringen Spielraum für Experimente geboten hatten, machte sich eine gewisse Frustration unter den Reformern breit. "Die Sorge um den Fortgang der Reformen an der ETHZ, im speziellen aber die der Reformkommission unbefriedigend scheinende Regelung der Mitwirkung der Hochschulangehörigen auf der Ebene der Schulleitung, veranlassten die Reformkommission, ihre Lage und den Sinn ihrer Tätigkeiten gründlich zu überdenken", hiess es im Jahresbericht von 1977.

So hatten sich die Arbeitsbedingungen der Reformkommission dramatisch verschlechtert. Die Krise, auf die die ETH mit der Gründung dieser Kommission reagiert hatte, war längst einer operativen Normalität gewichen, die Experimentierphase in das abgeglitten, was der Studentenvertreter Pierre Freimüller, wie immer polemisch, bereits 1971 "die Zementierphase" genannt hatte. Die Reformer, die eigentlich als Berater hätten wirken sollen, fanden kein Gehör bei der Schulleitung, die allein die Vorschläge hätte umsetzen können, und im Schulrat stiessen sie auf Unverständnis, weil sie zu grundsätzliche Fragen anschneiden wollten. Im Schulrat wurde Baggenstos noch deutlicher:

"Viele haben bei der RK ETHZ das Gefühl, allein zu sein. Dabei taucht die Frage nach dem Sinn der Arbeit auf. Je konkreter die vorgeschlagenen Reformen sind, desto mehr Berührungspunkte stehen mit den bestehenden Regelungen. Das haben wir erfahren bei unseren Vorschlägen betreffend Lehrinhalte und Ausbildungsziele. Je abstrakter die Reformvorschläge sind, desto grösser werden die sprachlichen Schwierigkeiten. Es ist dann schwierig, die Vorschläge in die Sprache der übrigen ETH Angehörigen und die Sprache der ETH Leitung umzusetzen."

(Schulratsprotokolle, SR2:1977, Sitzung vom 30.9.1977, 471)

Genau dies wäre nötig gewesen, nicht zuletzt deswegen, weil die Schulleitung ihrerseits Reformen ins Auge fasste und eigene Reformstrategien verfolgte: "Die Reformkommission hat kein Monopol auf Reformen. Reform ist auch Aufgabe der ganzen ETH", verkündete Rektor Heinrich Zollinger.

Die Frage nach der Zuständigkeit für Reformen und die Frage nach der Durchsetzungskompetenz wurde schliesslich auf sehr eigenwillige Art gelöst: Präsident Heinrich Ursprung nahm, zum Teil gemeinsam mit dem Sekretär des Schulrates und dem Verwaltungsdirektor, an den Plenarsitzungen der Reformkommission teil. "Es wurde vermieden, sich in endlosen und unfruchtbaren Diskussionen zu verlieren", hiess es dazu im Jahresbericht von 1981. Der Präsident der Reformkommission habe "in zahlreichen persönlichen Besprechungen mit Prof. Ursprung wichtige Informationen und Anregungen erhalten." Diese Umkehrung des Informationsflusses institutionalisierte die Reform in ganz neuer Art und Weise. Sie wurde – wohl zum erstenmal – zu einem präsidialen Dauertraktandum.

Dieser Burgfriede einer institutionalisierten Reform dauerte jedoch nicht sehr lange. Im Jahresbericht 1986 wurde ein "Auseinanderklaffen von gesetzlichem Auftrag und den effektiven Möglichkeiten der Kommission, daraus abgeleitet ein gestörtes Verhältnis zur Schulleitung und teilweise auch zu den Ständen" bedauert. Die Diskrepanzen machten die Kommission funktionsunfähig. Im November 1985 hatte sie, gewissermassen als letzte Verzweiflungstat, eine Aufsichtsbeschwerde an die Geschäftsprüfungskommission der Eidgenössischen Räte gegen die Mitglieder der national- und ständerätlichen Kommission für Wissenschaft und Forschung geführt. Diese habe die Reformkommission der ETHZ in wichtigen Fragen nicht konsultiert.

Die Reformkommission war damit an ein Ende gelangt. Unter dem Namen "Hochschulversammlung" lebte sie nach 1987 zwar wieder auf. Aber sie hatte inzwischen eine neue Funktion. Im Jahr, in dem mit Hans Bühlmann ein ehemaliges Mitglied der Gemischten Kommission das Amt des Präsidenten der ETH antrat und die Matrixstruktur auf die Agenda seiner nur noch präsidialen Reformpolitik setzte, hörte die Reformkommission auf, als eine Reformen generierende Instanz zu wirken. Als immer noch paritätisch zusammengesetztes Gremium hatte sie jetzt nicht mehr die Aufgabe, Reformvorschläge zu erarbeiten, sondern in Vernehmlassungen den binnenuniversitären Konsens sicherzustellen. Die Reformen, mit denen sich die Reformkommission beschäftigte, waren entweder nicht mehr zeitgemäss, oder sie waren längst zu einem Ziel geworden, für das sich der Präsident selber einsetzen musste.

David Gugerli

   
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