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Forschungspfade

 
   
           
 

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Sammlungsalltag und Aufstellungslogiken

Ordnung in naturwissenschaftlichen Sammlungen zu schaffen und zu halten, war eine endlose und teure Aufgabe. Neue Gegenstände kamen laufend hinzu und die Sammlungskriterien veränderten sich häufig.

Albert Heim trat zum Wintersemester 1881/82 das Amt des Direktors der geologischen Sammlungen an. Die Übersicht, die er sich aus diesem Anlass "über Zustand und notwendige Verbesserungen" verschaffte, machte klar, dass die Sammlungen so kaum genutzt werden konnten. Überall herrsche Unordnung, so Heim. Im Pflanzensaal folge "auf eine Schublade Paläontologie ... wieder einige Schubladen geographisch-geognostische Sammlung, dann wieder eine solche Stratigraphie etc etc und dazwischen Schubladen mit ganz unettiquettirten Materialien. In Saal 29.c ist es nicht viel besser" (ETH-Bibliothek, Archive, Hs 1080:17, Nachlass Albert Heim, Geologische und paläontologische Sammlung, Sammlungsprotokolle 1882–1928). Die Sammlung brauchte vor allem mehr Mobiliar. Es fehlte an Vitrinen. Bei den bereits vorhandenen Schaukästen fehlten insgesamt 325 Schubladen, die für eine Ordnung "unumgänglich" waren. So banal wie entscheidend war auch das Problem, die einzelnen Gegenstände dauerhaft zu beschriften. Im Januar 1882 ordnete Heim an, alle Sammlungsetiketten, Nummern usw. nur mit Tusche zu verfassen, nach den "schlechten Erfahrungen, welche mit Erbleichen selbst von so genannter 'permanenter' Kanzleitinte etc." gemacht worden waren. Der Abwart hatte im Laufe des Jahres 1882 ausserdem "eine für Ettiquetten passende Schrift (Kartenschrift)" zu erlernen, um beim Beschriften der Objekte mithelfen zu können. Heim erarbeitete ein Programm "über die Arbeitsvertheilung auf die für die vollständige Ordnung der Sammlung in Aussicht genommenen 5 Jahre". Im April 1883 wurde ihm vom Schweizerischen Schulrat dafür ein Sonderkredit gewährt. Er war mit 1200 Franken mehr als dreimal so hoch wie das reguläre Budget und erlaubte es, Schränke anzuschaffen und mehr Personal einzustellen. Inhaltlich ging es darum, die Sammlungsvorgaben 'Vollständigkeit', 'Konzentration', 'Repräsentation' und 'Singularität' neu in Einklang zu bringen.

Denn die Entwicklung der Disziplin forderte den geologischen Sammlungsalltag heraus. Teile der Sammlung wurden nach Kriterien umgeordnet, die Veränderungen im bis dahin durch die Sammlungsordnung vorstrukturierten und stabilisierten Wissen des Fachs spiegelten. In der stratigraphischen Schausammlung, das heisst der Ausstellung der räumlichen und zeitlichen Ordnung der Gesteinsformationen, wurden z. B. bis zu Beginn der 1880er-Jahre nur diejenigen Schichten aufgestellt, in denen auch tatsächlich etwas zu sehen war: die so genannten Leitfossilien. Sie galten als Indikatoren für die zeitliche Datierung, aber auch als Kuriosa, die einer Vorführung lohnten. Fossilien wurden als ästhetische Objekte oder singuläre Laune der Natur begriffen (Rudwick 1996). Diese Qualitäten hatten bislang das Prestige reicher Sammlungen zum großen Teil mit ausgemacht.

Heim dagegen war auf vollständige Abbildung der "natürlichen Verhältnisse" aus. Die Hauptsammlung sei bisher einseitig konzipiert, weil sie nur auf die "fossilienhaltigen Schichten" Rücksicht nehme. Um ein Bild der Stratigraphie der Schweiz zu geben, sei es notwendig, dass auch die fossilfreien Gesteinsproben eingeordnet würden. Eine andere Aufstellungslogik, die weitgehend aufgegeben wurde, als Sammlungen ins staatliche Aufgabenspektrum rückten, war die Ordnung nach der Sammlerbiografie. Von Arnold Escher von der Linth gesammeltes "außerordentlich interessantes Material" etwa lag "verstaubt und hochübereinandergethürmt" in Schubladen. Escher war der Lehrer Heims und sein Vorgänger auf dem Lehrstuhl für Geologie. Um das Material "durch Ordnung und Aufstellung für Lehre u. Forschung fruchtbar" zu machen, wurden grosse Teile von Eschers Kollektion zur Erweiterung oder Verbesserung – im Sinne einer qualitativen Konzentration – bestehender Sammlungen eingeordnet.

Museum und Forschungssammlung. Die neu aufgestellte geologische Hauptsammlung um 1900.
Museum und Forschungssammlung. Die neu aufgestellte geologische Hauptsammlung um 1900.
Schwierigkeiten entstanden, weil mit den Sammlern und Forschungsinteressen auch die Nomenklatur wechseln konnte. Auch hier ist das Etikett eine kleine, aber aussagekräftige Quelle (te Heesen/Spary 2001). Wie sollte man es jenseits aller technischen Schwierigkeiten beschriften? Im Bericht zur Ende 1883 neu geordneten stratigraphischen Lehrsammlung problematisierte der Assistent Bertschinger diese Überlagerung verschiedener Wissensbestände: "In Betreff der Nomenklatur sei beigefügt, dass der Referent für die Bezeichnung der stratigraphischen Gruppe kein einheitliches System wählen konnte, ohne dadurch starke Unzukömmlichkeiten hervorzurufen."

Alte Etikettierungen mussten mit Fingerspitzengefühl modernisiert werden. Je nach Sammlungsbereich schien es sinnvoll, weiterhin lokale Bezeichnungen zu verwenden, in anderen Fällen dagegen hatten sich in der Geologie bestimmte Neusystematisierungen durchgesetzt.

Das Prinzip 'Vollständigkeit' hatte auch politische Grenzen: Grundsätzlich sollte die "Schweiz vollständig, das Ausland thunlich" gesammelt werden. In der stratigraphischen Lehrsammlung dagegen ging es um Repräsentativität: Nur die allerwichtigsten Leitfossilien "jeder in sich geschlossenen größeren stratigraphischen Gruppe" sollten aufgestellt werden. Denn die Klarheit dürfe nicht durch "compendiöse Skizzierung, durch zu detaillierte Rubrizirung oder durch die Anwesenheit von minderwichtigen Repräsentanten geschwächt oder verwischt" werden. Der paläontologischen Lehrsammlung waren insbesondere "zum Vergleich noch Repräsentanten lebender Arten namentlich bei den Mollusken hinzuzufügen". Morphologische Vergleiche sollten die Vorstellungen von einer gerichteten Entwicklungsgeschichte des Lebens auf der Erde – und damit die die damals vorherrschende Deutung der Darwinschen Evolutionstheorie – unterstützen.

In Zürich wurde zwischen einem allgemeinen Publikum und Forschern nicht grundsätzlich unterschieden. Die Hauptsammlung bestand aus einer Schau- und Forschungssammlung, die nur durch die Aufteilung in Glaskästen und Schubladen getrennt waren. Zu den Besucherinnen und Besuchern gehörten alle Hochschulangehörigen. Für die Studierenden wurden noch zusätzliche Sammlungen zusammengestellt: Lehr- und Übungssammlungen zur Demonstration in Vorlesungen und zu eigenen Bestimmung ohne Beschriftung.

Andrea Westermann

   
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