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Gottfried Semper. Künstler und Architekturtheoretiker

Gottfried Sempers überragender Ruf steht Hochschulangehörigen in Zürich mit dem Hauptgebäude des Eidgenössischen Polytechnikums jeden Tag vor Augen. Der "Professor der höheren Baukunde" Semper galt von Anfang an als grosser Gewinn für die Schweiz und die ETH.

Bei Architekturprofessoren ist mit Reputation grundsätzlich mehr als wissenschaftliche Anerkennung gemeint. Guten Architekten wird vor allem als Künstlern Respekt gezollt. Als Semper am neu zu gründenden Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich Vorsteher der Bauschule und zugleich deren erster Professor wurde, war er als Baumeister schon berühmt. Er hatte in den 1830er- und 40er-Jahren Dresdens Stadtbild geprägt, Hamburg beim Wiederaufbau seiner 1842 zu grossen Teilen niedergebrannten Innenstadt beraten und sich soeben auf der Weltausstellung in London 1851 durch die Einrichtung der kanadischen Ausstellungshallen hervorgetan. Die Neue Zürcher Zeitung vom 21. Februar 1855 meldete: "Hr. Gottfried Semper aus Holstein, Professor in London, ist auf Lebenszeit zum Professor der höheren Baukunde am Polytechnikum ernannt und zwar mit ansehnlicher, aber für solche Leistungen, wie sie hier bestimmt zu erwarten sind, gewiss kaum verhältnismässiger Besoldung." Für die Neue Zürcher Zeitung war Kunst unbezahlbar. Diese Ansicht musste Balsam für die Seele Sempers sein, der im königlichen Sachsen diese Wertschätzung von seinen adligen Bauherren oft vergeblich eingefordert hatte (Nerdinger 2003, 14).
Semper-Büste an der ETH
Semper-Büste an der ETH

Was die Unterrichtsmethoden anging, kamen Sempers Überzeugungen den Vorstellungen der Gründer des Polytechnikums sehr entgegen. Für Semper war der Architekt im Unterschied etwa zum Maler dem unerbittlichen Regime der Wirklichkeit unterworfen. Dies zeichnete ihn zwar vor allen anderen aus – zur Bewältigung der Verantwortungen bedurfte es aber einer sorgfältigen Ausbildung, in der sich Wissenschaft, Praxis und Ästhetik auf nur schwer beschreibbare Art zu verbinden hätten. Im überlieferten "Fragment eines Programms für e. Kunstschule. – (Eidg. Polytechnikum)" finden sich folgende unentschiedenen Sätze:

"Es entspricht ... dem besonderen Zweck des eidgen. Polytechnikums dass der Weg des Unterrichts in demselben ein vorzugsweise wissenschaftlicher sei, dass dem Schüler der Anstalt Gelegenheit sich möglichst vielseitig wissenschaftlich auszubilden geboten und zugleich die Belebung des wissenschaftlichen Sinnes unter ihnen mit allen Mitteln erprobt werde: Auch ist durch die Wahl der Lehrer dafür gesorgt, dass der wissenschaftliche Unterricht ein möglichst praktischer sei und es kommt nur noch hauptsächlich darauf an, dass neben dem Sinn für praktisches Wissen auch das praktisch schaffende Prinzip des Schülers angeregt und geübt werde".

(Semper zitiert nach Maurer 2003, 308–9)

Sinn für praktisches Wissen, wissenschaftlicher Sinn, praktisch schaffendes Prinzip – die kaum auseinanderzuhaltenden Dimensionen schienen in der Kategorie der ästhetischen Erfahrung zusammenzulaufen. Denn beim "Kunstjünger", dem angehenden Architekten, gelte es, die "Gabe des anschaulichen Denkens" und eine "Empfänglichkeit für Kunsteindrücke" besonders zu fördern. Einen Teil dieser Vorsätze baute Semper ein paar Jahre später direkt in das Polytechnikum ein: Der Antikensaal, bis 1915 an der Stelle der heutigen Haupthalle, war ein Kunstmuseum in der Schule.

1879, im Todesjahr Gottfried Sempers, gründeten seine Schüler ein Semper-Museum, da die "künstlerische Thätigkeit Sempers in der Schweiz im allgemeinen viel geringer angeschlagen wird, als sie wirklich war". Die "lehramtliche und litterarische Wirksamkeit" werde einseitig herausgestellt (Auer 1884/85, Sp. 85). Hinzu kam, dass die Projekte, die "der Meister" während der 16 Jahre in Zürich entwarf, zum grossen Teil "gar nicht, oder nicht unter seiner Leitung" zustande gekommen waren. Um so wichtiger also, wenigstens die Skizzen auszustellen. Knapp 100 Jahre später hatte man für diese Art der sentimentalen Bewunderung nicht mehr viel übrig. Die ETH-Architekten des neuen Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur gta setzten sich 1967 gegen solche ausserwissenschaftlichen Vereinnahmungen deutlich ab.

"Der Gründungsgedanke war nicht wie damals beim Semper-Museum ein Denkmal für einen grossen Künstler und Zeitgenossen, sondern die historische Forschung. Nicht Verehren, sondern Hinterfragen war das Schlagwort der Zeit."

(Jahresbericht ETH 1983, 19)

Das gta verortete sich in der "Opposition zur Moderne", die "sich von der Geschichte neue Modelle erhoffte" (ebenda). Der Architekturtheoretiker Semper schien den studentenbewegten Architekten interessanter als der Künstler. Die Übernahme des Semper-Archivs bot reichlich Studienmaterial. In den Blick rückten die frühen bahnbrechenden Schriften "Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architectur und Plastik bei den Alten" von 1834 und "Wissenschaft, Industrie und Kunst" von 1852. Beide Arbeiten gingen von der Annahme aus, dass Gesellschaftsstruktur und (nicht Semantik, sondern) Stil systematisch zueinander in Beziehung zu setzen seien.

Mit den 1834 vorgetragenen Feldforschungsergebnissen unterstützte Semper die These von der farbigen Antike nachhaltig. Am Ende von "Wissenschaft, Industrie und Kunst" skizzierte Semper erstmals eine von der Naturgeschichte inspirierte 'strukturale' Taxonomie und Typologie der Stile (Hildebrand 2003, 263). Diese theoretischen Qualitäten hatten der Schulrat und seine Berater wohl ebenfalls im Sinn, als sie Semper nach Zürich beriefen. Für ein sich gerade erst etablierendes Polytechnikum und seine Anstrengungen, die Standards der Technikwissenschaften neu zu setzen, lohnte es sich, jemanden anzustellen, der die Ambitionen hatte, ein "Cuvier der Kunstwissenschaft" (Semper) zu werden.

Andrea Westermann

   
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