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Politkarrieren

 
   
           
 

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Networking um 1855: Wissenschaftsagent Mittermaier

"Meiner an Sie gerichteten Bitte ersuche ich Sie nicht zu erwähnen, es würde nur schaden." Auch wenn der Begriff damals noch nicht geboren war: Networking war in der Gründungszeit des Polytechnikums eine Tätigkeit, die viel Fingerspitzengefühl verlangte.

Als Ende Oktober 1854 in einer Stellenanzeige 32 Professuren ausgeschrieben wurden, nahmen die Bewerbungsschreiben, die seit Monaten beim Polytechnikum eingingen, massiv zu. Berufungen geniessen das Ansehen, zum Kerngeschäft von Wissenschaftspolitik zu gehören. Das Polytechnikum war demnach in einer weiteren heissen Phase angelangt. Jetzt zählten nicht mehr grosse Worte in parlamentarischen Debatten, für tatkräftige Spatenstiche hingegen war es noch zu früh. Die Stunde der grossen Persönlichkeiten aus Lehre und Forschung hatte geschlagen, so könnte man es sehen.

Doch der geschäftliche Teil, der einem Star-Rummel – etwa um den aus Tübingen berufenen Professor für deutsche Literatur Friedrich Theodor Vischer – vorausging, lief nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit ab. Im Gegenteil, diese hoch kommunikative Arbeit bedurfte der Diskretion. Einer, der dieses Metier beherrschte, war der Heidelberger Jura-Professor Karl Josef Anton Mittermaier. Sein Engagement während der Gründungsphase des Polytechnikums zeigt, wie zeitgenössisches Networking funktionierte.

Gefragter Briefpartner: K. J. A. Mittermaier, 1787-1867.
Gefragter Briefpartner: K. J. A. Mittermaier, 1787-1867.
Hätte Mittermaier 1854 und 1855 nicht Briefe ans Zürcher Polytechnikum geschickt, wäre etwas falsch gelaufen. Denn Mittermaier, ehemaliges Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung, kann man als Knotenpunkt eines ausgedehnten wissenschaftlichen Netzwerkes bezeichnen. Er gehörte zu denjenigen, die um Auskünfte angefragt wurden und Empfehlungen aussprachen. Schon im Februar 1854 war er über die Ereignisse in der Schweiz informiert worden. Nur drei Tage nachdem man im Parlament die Errichtung eines Polytechnikums beschlossen hatte, berichtete ihm Johann Konrad Kern, der spätere erste Präsident des Schweizerischen Schulrates, Näheres über die neue Schule. Weiter schrieb er, er werde demnächst nach Karlsruhe fahren, "da man auf solchem Wege zuweilen manches erfährt, was der offizielle Verkehr mit den Behörden nicht bietet".

Aus der Sicht Mittermaiers war die Gründung des Zürcher Polytechnikums ein kommunikatives Ereignis ersten Ranges. Die Aussicht auf eine beträchtliche Zahl neuer Lehrstühle bot für ihn nicht nur die Chance, den eigenen Einflussbereich zu erweitern. Sie belebte auch sein bestehendes Netzwerk; sie bot Anlass, sich zu positionieren und Einschätzungen auszutauschen. Der Nachlass Mittermaiers wird heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt und umfasst gut 12'000 Briefe, davon stammen nur etwa die Hälfte aus Deutschland und wenige von ihm selbst. Als Ausdruck wissenschaftlicher Kommunikation des 19. Jahrhunderts werden die Korrespondenzen inzwischen erforscht. Sie verdanken diese Aufmerksamkeit einem sozialwissenschaftlichen Interesse an Netzwerken.

Ein Anliegen des Bonner Juristen August Anschütz aus dem Jahr 1855 illustriert, welche Dienste ein solches Netzwerk im 19. Jahrhundert leisten konnte. Da Anschütz an der Professur für Handelsrecht am Polytechnikum interessiert war, schrieb er an Mittermaier und bat um Hilfe. Er brauche jemanden, der ihn für die Zürcher Stelle empfehle. Zwar hatte ihn der Schweizer Achill Renaud bereits empfohlen, doch dessen Renommee war angeschlagen: Renaud selbst war vom Schulrat auf den Lehrstuhl für Handelsrecht berufen worden, hatte sich aber entschlossen, in Heidelberg zu bleiben. Er lehnte den Ruf ab und schlug stattdessen Anschütz vor.

Die beiden befürchteten nun, am Polytechnikum würde man den Missmut ob der Ablehnung Renauds auf den Schützling Anschütz projizieren: "Dass man vielleicht die Empfindlichkeit, die man in Bern über das Ablehnen des Rufs von seiner Seite gegen ihn haben wird, dass man diese Empfindlichkeit auch auf denjenigen übertragen möchte, den er empfiehlt." Anschütz, sozusagen unverschuldet in Not geraten, bat um Folgendes: Mittermaier sollte Kern schreiben, er habe von Renauds Empfehlung gehört und unterstütze diese, "damit die persönliche Voreingenommenheit schwindet und sachliche Prüfung eintritt". Anschütz argumentierte nicht etwa, er brauche Vitamin B, sondern spielte geschickter, er suche "sachliche Prüfung". Über Beziehungen verfüge er ja bereits, aber eben in diesem Fall über für ihn wenig förderliche.

Auch wenn die Vorliebe dieser Briefpartner für informelles Wissen und Insider-Informationen auf der Hand liegt, ist ihnen nicht zwingend Vetternwirtschaft vorzuwerfen. Bezeichnet man sie als Beziehungsmanager oder -broker, so rückt das Lebenswerk von Menschen in den Blick, die sonst im Hintergrund bleiben. Der Begriff Networking schafft dafür ein Fenster.

Daniela Zetti

   
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