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Politkarrieren

 
   
           
 

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Die wissenschaftspolitische Dynamik der 1960er-Jahre

Während mehr als hundert Jahren war die ETH Zürich die einzige von der Eidgenossenschaft betriebene universitäre Institution. Nur über sie hatte der Bund wissenschafts- und bildungspolitisch eine gewisse Steuerungsmöglichkeit. Diese Monopolstellung löste sich in den 1960er-Jahren überraschend schnell auf.

Als im Herbst 1957 der Satellit "Sputnik" erstmals Signale aus dem Weltraum auf die Erde sendete, wurde diese Leistung sowjetischer Wissenschaft und Technik auch in der Schweiz umgehend registriert. Fritz Hummler, der Spitzenbeamte für Wirtschaftsförderung beim Bund, hielt kurz darauf fest, die Sowjetunion habe sich ihren technologischen Vorsprung nur dank immenser volkswirtschaftlicher Opfer und klugem Einsatz begrenzter Ressourcen erarbeiten können. Es sei daher auch in der Schweiz eine Bildungs- und Wissenschaftspolitik neuen Zuschnitts notwendig. "Der stürmische technische Fortschritt ist die bedeutsame strukturelle Tatsache unserer Epoche", so Hummler am 21. November 1957 in einem Vortrag in La Chaux-de-Fonds. Er folgerte: Um in der harten Konkurrenz der Systeme und Nationen zu bestehen, müsse man nun endlich "einen genügenden Teil des Volkseinkommens für die Finanzierung der Forschungs- und Bildungsarbeit reservieren."

Mit der Forderung nach einer bildungs- und wissenschaftspolitischen Offensive vertrat Hummler Ende der 1950er-Jahre ein weit verbreitetes Anliegen. Dem lag die Überzeugung zu Grunde, dass Ausgaben für Bildung und Wissenschaft gewinnversprechende Investitionen in die Volkswirtschaft seien. In sämtlichen westlichen Ländern, allen voran in den USA, versuchten Wissenschaftspolitiker die Gunst der Sputnik-Stunde zu nutzen, um mehr Staatsgelder auf die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Bildung umzulenken. Bemerkenswerte Aktivität entfaltete auch die Organisation für Europäische Wirtschaftszusammenarbeit, die nach dem erfolgreichen wirtschaftlichen Wiederaufbau Westeuropas neue Tätigkeitsfelder suchte. Mit einer Reihe internationaler Konferenzen zur Bildungsplanung und zur Wissenschaftsökonomie entstand unter Federführung der OEEC und ihrer Nachfolgeorganisation OECD ein westeuropäisches Handlungsfeld der Wissenschaftspolitik. Es war nicht nur von der Systemkonkurrenz zum Ostblock geprägt, sondern zunehmend auch durch die Wahrnehmung eines "technological gap" zu den USA. Bis 1970, so ein OECD-Plan von 1961, sollten die westeuropäischen Länder ihre Bildungsinvestitionen um hundert Prozent steigern. Die Zeit der Reformuniversitäten und der Hochschulneugründungen brach an.

Die internationale Entwicklung weckte in der Schweiz die Angst, wegen der föderalistischen Struktur der Hochschullandschaft den Anschluss zu verpassen. Man befürchtete, die kantonalen Universitäten seien der künftigen Nachfrage nach Akademikern nicht gewachsen und hätten überdies ein zu kleines wissenschaftlich-technisches Innovationspotenzial. Tatsächlich deutete eine Studie des St. Galler Ökonomen Francesco Kneschaurek 1963 auf einen massiven Nachholbedarf der Schweiz verglichen mit anderen OECD-Ländern hin. Man sprach bald von einem "Bildungsnotstand".

1962 setzte der Bundesrat eine Expertenkommission zur Prüfung der Frage ein, ob die Kantone ihre Universitäten weiterhin den Bedürfnissen entsprechend finanzieren könnten oder ob der Bund Fördermassnahmen zu ergreifen habe. Die Experten kamen 1964 zu dem Schluss, dass die Kantone massiv überfordert seien. Sie empfahlen ein Hochschulförderungsmodell, das zugleich als Basis für eine zentralisierte "Hochschulpolitik auf nationaler Ebene" taugen sollte, wie sich der Kommissionspräsident, der Neuenburger Lateinprofessor André Labhardt, ausdrückte. "Wir kennen die gleichen Probleme wie unsere Nachbarländer, aber wir kennen auch grössere Schwierigkeiten, die sich aus der föderativen Struktur unseres Staates ergeben", führte er ergänzend aus. Die Empfehlungen der Kommission zogen ab 1966 Bundeszahlungen an die kantonalen Universitäten in Millionenhöhe nach sich. 1968 folgte dann das "Hochschulförderungsgesetz", das diese Subventionspraxis auf eine dauerhafte rechtliche Grundlage stellte, und zur Verteilung der Gelder die Schweizerische Hochschulkonferenz schuf.

Mit der Arbeit der Labhardt-Kommission, der eine Reihe weiterer Kommissionen folgte, entstand in der Schweiz eine neue wissenschafts- und bildungspolitische Dynamik. Nun begann der Bund in dem traditionell den Kantonen vorbehaltenen Gebiet aktiv zu werden. Bereits die Nationalfondsgründung von 1952 war ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. 1965 entstand der Wissenschaftsrat, der die Bundesbehörden zu beraten hatte. 1967 setzten die eidgenössischen Räte überdies eine ständige Kommission für Wissenschaft und Forschung ein, und 1969 entstand beim Innenministerium eine eigene Abteilung für Wissenschaft und Forschung. Das Wirtschaftsministerium, das bereits seit 1942 eine Kommission zur Förderung der angewandten Forschung unterhielt, mischte sich nun auch in die Berufsbildung ein. Angesichts dieser Organisationen, die zu der bereits um die Jahrhundertwende gegründeten kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz und zu der seit 1949 operativen Schweizerischen Hochschulrektorenkonferenz traten, warnte die Neue Zürcher Zeitung am 3. April 1967 vor der "Gefahr einer Inflation von Kommissionen", die zur Handlungsunfähigkeit des Bundes führen könne.

Für die ETH in Zürich waren diese Entwicklungen in hohem Masse relevant. Die Schule profitierte stark von dem neuen wissenschafts- und bildungsfreundlichen Geist, als die eidgenössischen Räte im Jahre 1965 rund 444 Millionen Franken für ihren Ausbau bewilligten. Die Mittel standen nun aber in Konkurrenz zu den Bundessubventionen an die kantonalen Hochschulen. Nicht von Ungefähr betonte Schulratspräsident Hans Pallmann bei der Begründung des Ausbaukredits den eidgenössischen Sonderstatus der ETH ausdrücklich. 1967 rief Urs Hochstrasser, einer der führenden Bundesbeamten in der Wissenschaftspolitik, angesichts der Konkurrenzsituation zwischen ETH und Universitäten in Erinnerung, die ETH sei im Wissenschaftsfinanzierungsprogramm des Bundes zu "privilegieren", weil ihr keine Kantonskassen zur Verfügung stünden. Wenig später erwuchs der ersten und bisher einzigen Schule der Nation eine zusätzliche Konkurrenz. Noch immer durch das klare Bekenntnis der Kommission Labhardt zur Wissenschaftsförderung motiviert, beschloss der Bund 1968, das Lausanner Polytechnikum vom Kanton Waadt vollständig zu übernehmen und als zweite Eidgenössische Technische Hochschule zu führen.

Daniel Speich

   
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