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Das lustige Studentenleben

Der Mythos von der vieldeutigen studentischen Fröhlichkeit ist schon alt und wurde erstaunlich gleichförmig tradiert. Die realen studentischen Liebesbeziehungen hingegen waren bis vor kurzem von zahlreichen gesellschaftlichen Hürden umstellt.

"Ich erinnere mich an zwei sonderbare Jahre, die ich in den Hörsälen, fast ebenso angeregt in den Gängen verbrachte, immer erwartungsvoll, einsam, voreilig im Urteil, unsicher, meistens in eine heimliche Liebe verstrickt, wovon die Geliebte nichts wusste."

Max Frisch, Tagebuch 1946—1949

Zu den verbreiteten Vorstellungen über das Studentenleben gehört etwa die Meinung, das Studium sei im Wesentlichen eine feuchtfröhliche Zeit des Sturm und Drang, ausgelebt in einem munteren Kreis kollegialer Bonvivants. Mit diesem Klischee arbeitete beispielsweise ein Report der Schweizer Illustrierten aus dem Jahre 1968, der "die vergessene Minderheit" der "Schweizer Studentinnen" aufspürte und sie nach ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen befragte. Diagnostiziert wurde ein problematischer "Status zwischen Bett und Pult", zwischen sexueller Ausbeutung und sozialer Vereinsamung. Berichtet wurde von "Universitäts-Pappagalli", die sich bei Semesterbeginn am Anschlagbrett versammeln, um die vom Gymnasium anrückenden "grünen Studentinnen" zu beraten "und zugleich die körperlichen Eigenschaften einer näheren Prüfung zu unterziehen". "Man traf sich um neun Uhr an der Uni-Bar und fand um zehn, man habe jetzt genug gearbeitet. Dann sassen wir in irgendwelchen schnittigen Wagen, frühstückten ausgiebig, inszenierten Ausfahrten, Segelpartien, Parties und landeten dann in irgendeinem Bett", wird eine Studentin zitiert, die nach "einschlägigen Erfahrungen" und nach der "grossen Ernüchterung" wieder auf den "Weg der Tugend" zurückgefunden hatte.

Das Studium als lustbetonte Experimentierphase, die Universität als Gefahrenzone für weibliche Wissbegierde. Das Klischee ist alt und wurde erstaunlich gleichförmig tradiert: So etwa weckte der Ruf nach "Studienfreiheit", der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Bildungsinstitutionen erreichte und eigentlich die Befreiung vom verschulten Lernzwang meinte, wie selbstverständlich zweideutige Interpretationen. Die Freiheiten des Stundentenlebens, als ungehindertes Ausleben burschikoser Tradition verstanden, waren längst sprichwörtlich und der viel besungenen studentischen Fröhlichkeit, unermüdlich im Tanzen, Trinken und Renommieren, wurden nicht selten dreiste Züge nachgesagt.

Der so genannte "lustige" Lebensstil der "flotten Burschen" fand in der Gesellschaft einigen wohlwollenden Rückhalt, entsprach aber meist mehr dem mystifizierten Ideal als der gelebten Wirklichkeit.

Zwar ist die Belletristik des bürgerlichen Zeitalters voll von standardisierten Formen studentischer Galanterie, die sich je nach Standeszugehörigkeit der umworbenen Frau in heimlicher Schwärmerei, heiratswilligem Werben oder vorübergehender Liebschaft äusserten. Und tatsächlich genossen oder erlitten die Studenten aufgrund ihrer materiellen und rechtlichen "Eheunfähigkeit" eine Art gesellschaftliche Auszeit, die zu experimentellen Eskapaden ebenso Anlass bot wie zu idealisierter Askese. In der Regel aber dokumentieren autobiografische Aufzeichnungen von Studenten des 19. Jahrhunderts ein weit nüchterneres Liebesleben als poetisierte Milieuschilderungen es ausschmücken. Zum einen waren die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern deutlich beschränkt, und allzu direkte Avancen von einem um Geld verlegenen "Studiosus" waren in den wenigsten Bürgerhäusern gern gesehen. Zum anderen gingen aufstiegsorientierte Frauen des Kleinbürgertums, die sich auf eine Studentenliebschaft einliessen, ein erhebliches soziales Risiko ein. Von derartigen gesellschaftlichen Hürden umstellt, beschränkten sich die amourösen Abenteuer nicht selten auf phantastische Schwärmereien oder auf diskrete Kontaktaufnahmen im Kreise befreundeter Familien.

Bekanntlich hat sich zwischen den Geschlechtern im 20. Jahrhundert einiges verändert. Darauf verweist auch die Abschiedsvorlesung von Maschinenbau-Professor Aurel Stodola, 1931 in überarbeiteter Form im Buch "Weltanschauung vom Standpunkte eines Ingenieurs" erschienen: "Haltet die 'schmutzigen Gespenster' fern von Euch; sie haben keine Macht wenn Euer Wille sich widersetzt", mahnte er die versammelten Studierenden. In der schriftlichen Version seines Vortrags führt er aus:

"Worin die 'schmutzigen Gespenster' bestehen, dürfte in Beziehung auf die Jugend klar sein: es ist der Schmutz des niederen erotischen Lebens. Hier herrschen die Schlagworte vom Rechte des 'Sich-Auslebens' und von der 'freien Liebe', wie für amerikanische Verhältnisse im eindrucksvollen Buch von Lindsey und Evans 'Die Revolution der modernen Jugend' dargelegt wird. Sich 'auszuleben' wird – innerhalb der Grenzen des Anstandes – niemand gehindert; dieses Schlagwort ist gegenstandslos. Unter Freiheit der Liebe versteht man aber oft das Eingehen flüchtiger Verbindungen, womit die Heiligkeit der Ehe und der Familie, die unersetzbares Fundament einer sittlichen Gemeinschaft sind, in den Staub gezogen wird. Die Profanierung des Aktes, den die Natur ihren letzten biologischen Zwecken vorbehalten hat, ist verwerflich und, da die künstliche Verhütung der Konzeption nicht immer erfolgreich ist, mit der entsetzlichen Gefahr verbunden, ein in seiner Lebenspotenz geschädigtes Wesen ins trostlose Dasein zu wecken."

(Stodola 1931, 9)

Dass eine Abschiedsvorlesung an der ETH mit einem Plädoyer für "Eheschliessung in Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit" endete, mag die damals grosse Furcht vor dem Zerfall der Sitten anzeigen. Allerdings: "Die Abweichung von der traditionellen Moral ist zwar beträchtlich, doch eine sexuelle Revolution hat nicht stattgefunden", folgerte die 1968 veröffentlichte Untersuchung des Hamburger Instituts für Sexualforschung zum Thema "Studentensexualität". Die wissenschaftliche Umfrage, an zwölf westdeutschen Universitäten durchgeführt, erkundigte sich nach "sexuellem Verhalten" und "Einstellung zur Sexualität" und stellte fest, dass eine Mehrheit der Studierenden vorehelichen Sex begrüsse und auch homosexuellen Beziehungen gegenüber tolerant sei. Mit diesen Bekenntnissen begaben sich die Befragten in einen erheblichen Widerspruch zur Gesetzgebung, die noch immer die Fortpflanzungsfunktion der Sexualität betonte und zu deren Ausübung einen Trauschein voraussetzte. In Zürich beispielsweise war das Konkubinat bis in die 1970er-Jahre verboten. Bezüglich den bekannt gegebenen sexuellen Aktivitäten, von der Studie als "partnerbetont" beschrieben, erschienen die Studierenden jedoch weit kontrollierter und konservativer, als es das Bild von der freizügigen 68er-Generation erwarten lässt. Die Autoren Hans Giese und Gunter Schmidt konstatieren Ende der 1960er-Jahre eine auffällige Renaissance der "romantischen Liebe", welche die von der Fortpflanzung abgekoppelte Sexualität mystisch überhöhe und unter unverändert bürgerlichen Vorzeichen domestiziere. Kommunenartige Zustände, wie sie der eingangs erwähnte SI-Report für Schweizer Hochschulen beschreibt, decken sich kaum mit den Selbstbeschreibungen von Durchschnittsstudierenden und bedienen einmal mehr den Mythos vom zügellosen Studentenleben, in diesem Fall mit einer zeitgemäss Frauen verleumdenden Zuspitzung.

Monika Burri

   
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