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Um mit Hilfe des neuen Elektronenmikroskops etwas zu sehen, musste auch die Präpariertechnik für die untersuchten Proben weiterentwickelt werden. Anschliessend hatte man die erzeugten Daten in disziplinär anschlussfähige Fragestellungen und Thesen zu übersetzen.
Innovationen im wissenschaftlichen Apparatebau können typischerweise nur in enger Abstimmung zwischen Instrumentenbauern und Nutzern – den Wissenschaftlern – erreicht werden (Rasmussen 1997). So hatten die ETH-Institute etwa auf dem Gebiet der Kathodenstrahloszillographen mit Brown Boveri & Cie und der Zürcher Apparatebaufirma Trüb, Täuber & Co AG (TCC) zusammengearbeitet. Auf diese Erfahrung konnte TCC zurückgreifen, als sie sich um das Jahr 1940 an die Entwicklung eines Elektronenmikroskops machte. TCC beschritt mit dem Einsatz einer kalten Kathode statt den im deutschen und US-amerikanischen Elektronenmikroskopbau üblichen Glühkathoden, mit den elektrischen statt magnetischen Linsen und einer eigenen Molekularpumpe technisch einen eigenen Weg. Im Einklang mit der politischen Situation hob ein Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Februar 1945 diese genuin schweizerischen Anstrengungen positiv hervor.
"An dieser Stelle wurde im letzten Frühjahr ... über die Bestrebungen berichtet, in der Schweiz zu eigenen Konstruktionen von Übermikroskopen zu kommen. Es wurde speziell darauf hingewiesen, dass die Inlanderfahrungen im Bau von Elektronengeräten aus Metall durchaus geeignet waren, um gewisse wesentliche Verbesserungen und Neuerungen an Übermikroskopen zu verwerten."
Der Schulrat hatte einen Besichtigungstermin für das, wie Schulratspräsident Arthur Rohn es nannte, "hervorragende Forschungsinstrument schweizerischer Herkunft" eingeplant und auch das Kuratorium des "Jubiläumsfonds", aus dem Teile der über 100.000 Franken stammten, die die Hochschule investieren musste, meldete sich an.
Neue Forschungsinstrumente beschäftigen nicht nur die Öffentlichkeit. Sie sorgen vor allem in der experimentellen Forschungspraxis für Aufruhr und erschüttern fachliche Gewissheiten. Der Professor für spezielle Botanik Ernst Gäumann hatte diese Dynamiken, von der genannten Kommission um eine Meinung gebeten, schon im April 1946 auf den Punkt gebracht. Für sein Arbeitsgebiet schätze er das Elektronenmikroskop als "sehr wertvoll" ein. "Möglicherweise wird es mit der Zeit sogar unerlässlich werden. Ich möchte deswegen die Bestrebungen zur Schaffung einer entsprechenden Zentralstelle warm unterstützen" (Schulratsakten, SR3:1946, Nr. 2821 ad 3, Gäumann an Rektor Tank, 10.4.1946). Gäumann fügte zwei elektronenmikroskopische Fotos von Diatomeen oder Kieselalgen bei, um den biologischen Erkenntnisfortschritt exemplarisch zu dokumentieren. Seit 100 Jahren verwende man als Test für das Auflösungsvermögen der Mikroskope die Struktur der Diatomeenschalen. Die elektronenmikroskopischen Untersuchungen hätten nun erstens gezeigt, "dass diese Strukturen noch viel feiner differenziert sind, als man bisher annahm, indem neben den 'grossen', bis jetzt mikroskopisch sichtbaren Poren noch zahlreiche andere bestehen". Diese Porenornamentik besitze zweitens einen betriebstechnischen Sinn: "Die Poren sind Austrittsstellen für Gallertfäden, mit welchen sich die Diatomeen auf ihrer Unterlage festhaften und wahrscheinlich auch weiterbewegen". Gäumann schloss seine Ausführungen mit den Hinweis auf eine offene Zukunft: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass, auf dieser Bahn weiterschreitend, die ganze Gruppe der Diatomeen anders verstanden werden muss."
Nun werden apparategestützte Beobachtungsmethoden gerade weiterentwickelt und verbessert, um mehr zu sehen als vorher. Etwas seltener freilich kommt es zu einem so konsequenten wie eleganten Austausch des Untersuchungsgegenstands. Bei gleichbleibendem Versuchsaufbau wechselte das Studienobjekt, indem sich die Mittel-Zweck-Relation der ursprünglichen Konstellation wendete: Statt die technische Performanz des neuen Mikroskops mit Hilfe der hoch aufgelösten Kieselalgenstruktur zu testen, stellte das neue Instrument umgekehrt die vertrauten Kieselalgen auf die Probe und öffnete damit längst geklärt geglaubte Forschungsfragen wieder neu.
Das von der ETH angeschaffte TCC-Elektronenmikroskop wurde im Institut für allgemeine Botanik aufgestellt. Andere Institute sollten die kostspielige Anschaffung selbstverständlich ebenfalls nutzen können. Bald zeigte sich jedoch, dass jede Disziplin nur unter sehr spezifischen Bedingungen mit dem Elektronenmikroskop experimentieren und arbeiten konnte und dass ein gemeinsam genutztes Labor dieser besonderen An- oder Einpassung entgegenstand. Institute, die über industrielle Stiftungsgelder verfügten, erwarben die begehrte Forschungsressource unabhängig vom laufenden ETH-Budget – 1956 z.B. das Institut für Festkörperphysik mit Industriegeldern von BBC und Landis und Gyr. Eine Geschichte des Elektronenmikroskops an der ETH verzweigt sich mithin ziemlich schnell.
Um beim Labor für Elektronenmikroskopie zu bleiben: Der Professor für allgemeine Botanik Albert Frey-Wyssling und sein Diplomand bzw. Doktorand Kurt Mühlethaler berieten den zuständigen Ingenieur bei TCC, den ETH-Absolventen Giovanni Induni, schon seit den frühen 1940er-Jahren beim Bau und bei der Feinjustierung des Elektronenmikroskops (Strasser 2002b, 135-137). Durch Frey-Wyssling war das Forschungsgebiet der Ultrastrukturforschung an biologischen Objekten populär geworden. Sie basierte auf der schon Ende der 1920er-Jahre eingeführten submikroskopischen Morphologie, die mit den indirekten Methoden der Polarisationsoptik und Röntgendiffraktion operierte. Dies führte dazu, dass die ETH-Botaniker der Abteilung X das neue Mikroskop gerade nicht für die Darstellung von Makromolekülen wie Proteinen, Nukleinsäuren oder Viren nutzte. Stattdessen überprüfte die Gruppe um Frey-Wyssling die bereits indirekt ermittelten Zellstrukturen elektronenmikroskopisch, insbesondere die Zellwand und deren Gerüstsubstanz, die makromolekulare Zellulose. |
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Das erste Elektronenmikroskop an der ETH konnte, entgegen ersten Beteuerungen bei der Anschaffung, dabei keineswegs von Anfang an als "hervorragendes Forschungsinstrument" eingesetzt werden. Die bisherigen Präpariermethoden für biologische Proben erwiesen sich für das Elektronenmikroskop als unbrauchbar. Während Frey-Wyssling seine Lehrzeit im Mikroskopieren in den 1920er Jahren noch in Jena, dem thüringischen Mekka der Optik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, verbracht hatte, zog es Kurt Mühlethaler 1948 und 1950/51 in die USA. Dort führte ihn Ralph Wyckoff im Laboratory of Physical Biology des National Institute of Health in die Elektronenmikroskopie ein. Er eignete sich die Präpariermethode der metallischen Beschattung an, ohne die es, wie Wyckoff dem schweizerischen Publikum 1949 erläuterte, bei den allermeisten Proben nur wenig zu sehen gab:
"Solche 'metallbeschattete' Präparate erscheinen im Elektronenmikroskop wie ein dreidimensionales Relief. Ähnlich einer Landschaft, die bei auf- oder untergehender Sonne von oben betrachtet wird, werfen die feinsten Einzelheiten deutliche Schatten."
Die experimentelle zellbiologische Forschung brachte weitere präparatorische Herausforderungen. Mühlethalers 1961 ausgearbeitete Gefrierätzmethode entwickelte sein Assistent Hans Moor weiter. Ab 1964 war man in der Lage, "Zellen von höheren Organismen lebend" zu fixieren und "der elektronenmikroskopischen Untersuchung nach der Methode der Gefrierätzung zu unterwerfen" (Schulratsprotokolle, SR2:1964, Sitzung vom 5.9.1964, 588). Sie gestattete nicht nur "Querschnitts-, sondern auch Aufsichtsbilder der ultrastrukturellen Objekte", was zur Folge habe, so Frey-Wyssling 1967 begeistert, dass "Ultrastrukturforscher aus aller Welt an die ETH kommen, um die neue Methode für die Präparation ihrer zytologischen Objekte zu erlernen" (Schulratsprotokolle, SR2:1967, Sitzung vom 8.7.1967, 547).
Die Reisekoordinaten der Mikroskopie hatten sich damit erneut leicht verschoben. Die Botanik der ETH konnte sich auf der elektronenmikroskopischen Landkarte als Anlaufstelle für technischen Service einzeichnen. Auch die Industriekontakte hatte man aktualisieren können. Mit Moors Gefrierätzmaschine gab es 1967 einen kommerziellen Erfolg – diesmal mit der Nachfolgefirma von TCC, der Balzers AG – vorzuweisen.
Andrea Westermann