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Die 1987 erfolgte Einführung der Matrixstruktur an der ETH Zürich rief der Hochschule ihre eigene Gestaltbarkeit in Erinnerung. Anders als im gleichnamigen Film von Andy und Larry Wachowsky stand am Ende dieses grossen Experiments an der ETH nicht die Wüste des Realen, sondern die Verhandelbarkeit der Organisationsform.
Was genau eine Matrixstruktur ist, das bleibt bis heute umstritten. "Matrix ist, wenn man mehrere Chefs hat". "Wir wollten etwas kreatives Chaos stiften." "Matrix – viel zu kompliziert für Professoren." Matrix ist eine stets schwierig zu fassende Organisationsform, die an der ETH auch noch einigermassen ephemer geblieben ist. Nur fünf Jahre nach ihrer Einführung gab es bereits eine präsidiale Kommission, die sich mit ihrer Abschaffung beschäftigen musste.
Trotz ihres flüchtigen Auftritts zeichnet sich die Matrix durch eine eigenwillige Körperlichkeit aus. Manche haben sich jedenfalls an ihr die Zähne ausgebissen, andere gestikulieren unwillkürlich mit den Händen, wenn sie erklären sollten, wie das Verhältnis von Abteilungen und Departementen ausgesehen habe. Dritte wiederum denken an die schmerzhafte Sitzungsinflation, die von der Matrix ausging, und schliesslich wird man bis heute nicht müde, die Schuld an der Einführung der Matrix der markanten Figur jenes Unternehmensberaters zuzuschreiben, der diese gar nie vorgeschlagen hat: Nicolas G. Hayek. Viel flüchtiger, matrixhafter war nämlich sein Nachfolger im ETH-Beratungsgeschäft. Von diesem wird daher an der ETH wohl meist im Plural gesprochen. Denn die "Häusermänner" waren 1986 plötzlich überall anzutreffen, sprachen mit allen, publizierten ihre Berichte in mehreren Bänden und schlugen eine ganze Reihe von Matrixstrukturen vor, von denen keine das Wohlgefallen der Auftraggeber fand.
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Die Schulleitung kreierte daher eine eigene Variante der Matrix: Die dem Rektor unterstellten Abteilungen sollten die Lehre organisieren, die einem Vizepräsidenten unterstellten Departemente die Forschung. Die Professuren wurden damit im Organigramm immer dort angesiedelt, wo man sie gerade brauchte oder wo sie glaubten, gerade gebraucht zu werden. Nur zwei Stimmen, so wird kolportiert, hätten sich in der Oberbehörde gegen diese Matrixstruktur ausgesprochen, jene des schon immer demonstrativ autoritären Präsidenten und jene des nicht stimmberechtigten Studentenvertreters, der sich wie eh und je für das Anliegen der Mitsprache und Mitbestimmung einsetzen wollte. Konnte die Matrix demnach weder das eine noch das andere Bedürfnis befriedigen, weder das autoritäre noch das demokratische?
Organisationssoziologen weisen darauf hin, dass die Matrix zwar kein Wundermittel sei und dass sie höhere Kosten zeitige, als eine konventionelle Linienorganisation. Dennoch helfe sie all jenen Unternehmen, die wenigstens zwei überlebensnotwendige, sich jedoch widersprechende Zielgrössen erreichen müssten. Die Matrixstruktur ist mit anderen Worten dort ein attraktives organisatorisches Modell, wo Entwicklung und Verkauf oder aber Forschung und Lehre gleichzeitig betrieben werden müssen, die unternehmerische bzw. humboldtsche Verbindung beider Aufgaben auf der Stufe eines Managers oder Professors jedoch längst zur Illusion geworden ist.
Vier heterogene, von ganz unterschiedlichen hochschulpolitischen Parteien vertretene Gründe führten dazu, dass die ETH Zürich Mitte der 1980er-Jahre ein grosses organisatorisches Experiment mit der Matrixstruktur wagte.
Hier seien erstens die "New Public Management"-Vorboten in der Bundesverwaltung erwähnt. Spätestens seit 1984 hatten jene Zukunft, die wie Nationalrat Adolf Ogi Reformen ankündigten und Effizienz forderten. Das Evaluationsprogramm EFFI drohte nun allen, der Munitionsfabrik wie der Hochschule. Diese Gleichsetzung war durchaus als Schock gemeint und gab natürlich viel zu reden. Doch die Hochschule wusste schon immer, wie man selbst unter erschwerten Bedingungen Distinktionsgewinne erzielen und eigene Zeichen setzen konnte. Einerseits erwirkte sie deshalb das Privileg, nicht von McKinsey, sondern von der Hayek Engineering AG durchleuchtet zu werden. Andererseits war es nahe liegend, das organisatorische Angebot der Matrix zur Neuordnung der Verhältnisse zu nutzen, denn Matrixstrukturen hatten gerade Konjunktur bei all jenen, welche die öffentliche Verwaltung auf "Veränderungsmanagement und neue Methoden der Verwaltungsführung" umstellen wollten.
Zweitens waren Matrixstrukturen in der Industrie der 1980er-Jahre populär geworden. Sie galten als Flexibilitätsgaranten, und Flexibilität war notwendig, wenn man nicht wusste, wie man das japanische Wunder verkraften, die europäische Integration überstehen und das nordamerikanische Wachstumspotenzial nutzen sollte. Flexibilität war umgekehrt notwendig, wenn die Hochschule mit grossen Firmen kommunizieren musste. Denn die Projekt- und Matrixorganisation der Industrie hatte der Hochschule ihre festen und vertrauten Gesprächspartner geraubt. Mit der Einführung der Matrix liess sich die Hochschule wenigstens organisatorisch wieder äquivalent zur Industrie denken.
Der dritte Grund, der für eine Matrixstruktur der Hochschule sprach, war die steigende Bedeutung der Forschung in den akademischen Distinktionshaushalten sowie im Budget der Hochschule. Dies musste Folgen für die Forschungsorganisation haben. Obwohl die Hochschule in den 1960er-Jahren massiv gewachsen war, blieb ihre Forschung im Wesentlichen auf der Ebene einzelner Professuren oder auf der Ebene relativ kleiner Institute organisiert, die oft nicht mehr als drei oder vier Professuren umfassten. Die Zahl der dem Präsidenten direkt Untergebenen stieg auf über 130 Personen an. Gleichzeitig war eine einzelne Professur für die Organisation von Forschung insbesondere dort zu klein, wo Forschung an grosse Anlagen gebunden war. Die Konjunktur der Forschung zog somit eine neue organisatorische Struktur nach sich – die Schaffung von Forschungsdepartementen unter der Obhut eines Vizepräsidenten für Forschung schien das Problem lösen zu können. Sie wären aber nicht mit der Verwaltungsstruktur für Lehre kompatibel gewesen oder hätten gar die dem Rektor unterstellten Abteilungen in Frage gestellt. Eine Matrixstruktur erlaubte es, die neue Organisation aufzubauen, ohne die alte abschaffen zu müssen.
Viertens stiegen gerade in den 1980er-Jahren die organisatorischen Anforderungen in der Lehre. Nicht weniger als drei neue Studiengänge (Informatik, Materialwissenschaft, Umweltnaturwissenschaft), zahlreiche Nachdiplomstudiengänge und berufsbegleitende Weiterbildungsangebote, eine gründliche Reorganisation der Naturwissenschaftlichen Abteilung, die Versuche mit dem Projektorientierten Studium POST sowie die Reformen an den Normalstudienplänen machten deutlich, dass eine Hochschule damit rechnen musste, sich auch in der Lehre auf change management einzustellen. Die Abteilungen, davon war man nicht nur im straff geführten Rektorat überzeugt, mussten weiterhin ihre ausbildungskoordinierende Funktion wahrnehmen und hatten keineswegs völlig ausgedient. Die Matrix stellte sicher, dass sich nicht alles auf einen Schlag ändern würde.
Das kreative Chaos, das Präsident Bühlmann mit der Matrixstruktur stiften wollte, war bereits vorbereitet, als die Vorschläge von Häusermann schulintern diskutiert wurden. Kaum eine Stellungnahme, die sich mit der anderen deckte. Dies lag selbstredend daran, dass der Flexibilisierungsschub, der die Einführung der Matrixstruktur an der ETH 1987 erzeugte, grosse Verschiebungen im Machtgefüge der Hochschule zur Folge hatte. Zudem erforderte die grosse Strukturveränderung unzählige weitere organisatorische Anpassungsleistungen. Dies bedeutet letztlich immer weitere Verhandlungsrunden, mit immer neuen Gewinn- und Verlustchancen. Manche Departemente wussten dabei ihre Position dadurch zu verbessern, dass sie sich die Vorteile der Matrixstruktur zu Eigen machten und überraschende Autonomiegewinne verbuchten. Andere hatten weniger Erfolg. Die kollektive organisatorische und taktische Intelligenz war erstaunlich ungleich verteilt. Deshalb hängt der Grad an Faszination und Schrecken, den jene Zeitzeugen bekunden, die an die Matrixstruktur erinnert werden, davon ab, wie virtuos ihre Abteilung oder ihr Departement mit der Herausforderung der Matrixstruktur umging.
David Gugerli