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Konferenzen sind ein traditioneller Ort wissenschaftlicher Kommunikation. Mathematiker "aller Länder" trafen sich 1897 zum ersten Mal in Zürich.
Der erste internationale Mathematiker-Kongress fand 1897 am Polytechnikum statt. Die Konferenzsprachen waren deutsch und französisch. Damals ging es um persönlichen Austausch sowohl auf professioneller Ebene wie auch im geselligen Rahmen. Man präsentierte und bestätigte einander ein bestimmtes Bild des Mathematikers und Gelehrten. Die Mathematiker arbeiteten im Namen der Allgemeingültigkeit wissenschaftlichen Wissens an der internationalen Vereinheitlichung ihrer Terminologie und strichen zugleich die nationalen Forschungsbeiträge heraus. In der Gründungsgeschichte dieses Forums finden sich mithin die typischen Strukturmerkmale wissenschaftlicher Konferenzen wieder.
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Unter der Federführung des ETH-Mathematikers Carl Friedrich Geiser
machten sich die Zürcher Kollegen daran, den Plan
eines internationalen Mathematikerkongresses zu verwirklichen. Die
geografische Lage Zürichs "im Kreuzungspunkte der grossen Linien von
Paris nach Wien und von Berlin nach Rom" schien sich für ein erstes
Treffen anzubieten. Das international besetzte Organisationskomitee
verschickte ein halbes Jahr später Einladungen an 2000 Mathematiker in
Europa und den USA. 242 Mathematiker aus 16 Ländern, darunter 38
Mathematikerinnen, sassen schliesslich in der Aula, als Geiser in der
Eröffnungsrede die Gründe und Ziele der neuen Einrichtung noch einmal
ausführlich erläuterte. Wie viele seiner Nachredner begriff Geiser die
Konferenztage als "Festtage", er nahm die Tagung also nicht zuletzt als
Gesellschaftsereignis von eigenem Erinnerungswert wahr. |
"Wir legten die Festtage in eine Zeit, in welcher die Schweiz ohnehin ein Hauptsammelplatz derjenigen ist, welche Ruhe und Erholung nach gethaner, Mut und Kraft zu neuer Arbeit suchen. So wird auch für Sie die Gelegenheit verlockend sein, nach den Anstrengungen gemeinschaftlicher Arbeit noch einige Tage oder Wochen in der belebenden Nähe unserer stürzenden Bäche und rauschenden Tannen, im stillen Anblicke unserer blauen Seen und grünen Alpen oder mitten unter den wilden Felsen und kalten Gletschern unserer Hochgebirgswelt zu verweilen."
Die
vorgetragene Überlegung der Organisatoren zum Veranstaltungsdatum wirft
ein Schlaglicht auf das Selbstbild der versammelten Wissenschaftler.
Das Ferienland Schweiz belohnte die angereisten Konferenzteilnehmer mit
der Möglichkeit touristischer Ausflüge. Ihre selbstverständliche
Berufung auf die akademische Forschungsfreiheit brachte es mit sich,
dass Arbeitszeit und Freizeit nur schwer voneinander zu trennen waren.
Arbeits- und Lebensform konvergierten: Die Mathematiker verfolgten
selbst gesteckte Ziele, deren Erreichung auch ein Ziel persönlicher
Entwicklung war. Dabei schmälerte sich das Arbeitspensum angesichts
neuer Forschungsergebnisse und einem sich stets verändernden Spektrum
ungelöster Probleme nie. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, Freizeit
und Arbeit bzw. Genuss und Disziplin nicht als Gegensatzpaare
anzusehen, sondern sich z. B. kleine Auszeiten an fremden Dienstorten
zu nehmen und sie als Erholung und alternatives Bildungsangebot zu
betrachten.
Die Mathematik galt im besonderen Mass als 'einsame'
Tätigkeit, ein Topos, der auch in Zürich bemüht wurde. Einen
Mathematikerkongress zu organisieren, musste als unkalkulierbares
Wagnis erscheinen, es handele sich um "eine Art von Sprung ins Dunkle", so Rudio 1898. Und der Tübinger Professor Alexander von Brill hatte im Vorfeld
geargwöhnt, ob es überhaupt möglich sei, "die schwerflüssige Masse
einsiedlerischer Mathematiker zur Teilnahme an einem erstmaligen
internationalen Kongress zu bewegen" (Rudio 1898, 58).
Wenn es so vieler Anreize bedurfte und solche Hürden zu nehmen waren, um Mathematiker miteinander ins Gespräch zu bringen: Warum überhaupt einen internationalen Kongress organisieren? Die verdichtete Kommunikation auf Konferenzen befeuere das individuelle Denken und steigere die Wahrscheinlichkeit gemeinsamer Lösungen, so die Veranstalter in ihrem Reglementsentwurf für den Kongress. Bei einem umfassendem Programm und der repräsentativen Auswahl der Redner werde zugleich der gegenwärtige Stand einzelner Wissensgebiete ermittelt (Rudio 1897, 33). Mit der beschlossenen regelmässigen Ausrichtung eines internationalen Mathematikerkongresses vertrat die Gründungsversammlung sogar den Anspruch, die Mathematik insgesamt zu überblicken und zu organisieren. Am Ende der Zürcher Konferenz war die Einsicht in die Notwendigkeit der Koordination grösser denn je. Der deutsche Mathematiker Felix Klein zeigte sich überwältigt von "der Mannigfaltigkeit mathematischer Auffassungen und Interessen, die eine Bezugnahme von Mathematiker zu Mathematiker ausserordentlich erschwert. Die Verschiedenheit der Sprache tritt fast zurück hinter der Verschiedenheit der mathematischen Denkweise" (Klein 1898, 300).
Im Laufe der
Konferenz war vor allem eine fortlaufende, dauernd aktualisierte
internationale Bibliografie angemahnt worden, nicht zuletzt, um, noch
einmal in den Worten Kleins, "die Geltung unserer Wissenschaft nach
aussen hin zu sichern". Voraussetzung dafür war eine anerkannte
Klassifikation der mathematischen Subdisziplinen. "Eine solche
allgemein und von allen Fachgenossen adoptierte Klassifikation besitzen
wir auf mathematischem Gebiete leider noch nicht", hatte der
ETH-Professor Ferdinand Rudio schon bei der Kongresseröffnung
konstatiert. "Wohl haben wir eine Reihe von Klassifikationen, die alle
in ihrer Art Vortreffliches leisten. Ich erinnere an die Klassifikation
des Pariser bibliographischen Kongresses, der 1889 unter dem Vorsitze
des Herrn Poincaré ... tagte, ich erinnere an die Klassifikation des
von Herrn Lampe herausgegebenen Jahrbuchs über die Fortschritte der
Mathematik, an diejenige des universell angelegten Dewey’schen
Dezimalsystems und so manche andere" (Rudio 1898, 35–36). Eine
ganze Sektion widmete sich im Anschluss dem Thema und bereitete eine
Resolution für die zweite Hauptversammlung der Tagung vor, nach der bis
zur nächsten Konferenz 1900 in Paris – auf diese Daten hatte man sich
schon geeinigt – eine Expertise über die Klassifikationsfragen und
Kooperationsmöglichkeiten mit bereits begonnenen bibliografischen
Projekten in Auftrag gegeben werden sollte.
Die angestrebte Standardisierung der Terminologie arbeitete dem Ideal zu, nach dem wissenschaftliche Erkenntnis universell gültig ist. Das Streben nach Objektivität wurde als Handlungsmaxime oft beschworen. Mit dem Engagement für die Disziplin erwerbe man sich jenseits politischer Zugehörigkeiten ein "geistiges Bürgerrecht in einem Reiche von unendlicher Ausdehnung: Es ist das Reich der Wissenschaft" (Rudio 1898, 28). Auf nationale Helden bei der Fachgeschichtsschreibung musste trotz der identitätsstiftenden Idee der Gelehrtenrepublik nicht verzichtet werden: Im Zuge des Beschlusses, den mathematischen Kanon zu stabilisieren und Klassikerausgaben zu erstellen, wurde von Schweizer Seite der Plan vorgetragen, die Werke Leonhard Eulers zu edieren. Auch die Festkarte des Kongresses illustrierte den schweizerischen Beitrag zur internationalen Mathematik.
Andrea Westermann