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Forschungspfade

 
   
           
 

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Im Feld. Exkursionen der Abteilung für Naturwissenschaften

Geologie und Botanik sind klassische Feldwissenschaften des 19. Jahrhunderts. Im Feld lebte der Professor Forschung vor.

Um 1900 bildete sich um den Geologen Albert Heim, Inhaber einer so genannten Doppelprofessur an der Universität und am Polytechnikum, sowie den Polytechnikumsbotaniker Carl Schröter eine Zürcher 'Exkursionsschule' heraus. Heim zum Beispiel leitete in den fast vierzig Jahren als Hochschullehrer über 300 Exkursionen und Schröter stand ihm darin, nach der Anzahl der vollgeschriebenen Feldbücher und einer ebenfalls 40-jährigen Professorenkarriere zu urteilen, in nichts nach.

"Diese Exkursionen vermittelten wohl die stärksten Eindrücke, die ein Student empfing. Sie übten denn auch ihre Anziehungskraft weit über die Grenzen Zürichs, ja der Schweiz aus. ... Auch ältere Gelehrte fanden sich zu den Exkursionen ein, und so ergab sich oft eine nach Alter, Kenntnissen und Nationalitäten bunt gemischte Gesellschaft."

Dies berichtete die Geologin und Botanikerin Marie Brockmann-Jerosch in ihrer 1952 erschienenen wissenschaftlichen Biografie über Albert Heim aufgrund der eigenen Studienerfahrungen. Im Folgenden werden die "stärksten Eindrücke", welche die disziplinäre Identität der angehenden Naturwissenschaftler prägten, ins Zentrum gerückt: das 'Feld' und der Professor.

Das Feld ist für Botaniker und Geologinnen "zugleich Anschauungsgrund und Datenreservoir" (Heintz et al. 2004, 129). In Analogie zum Labor etwa für Chemiker hat die Exkursion ins Feld wesentliche Sozialisationsfunktionen. Die Studierenden festigen und erweitern dort auf spezifische Weise das bereits erworbene Lehrbuchwissen. Die unmittelbare Beobachtungssituation in der Natur bringt einen "Auge in Auge mit den Erscheinungen, die in den Vorlesungen geschildert wurden." Manches sehe da "ganz anders, viel komplizierter aus als auf der Wandtafel" (Brockmann-Jerosch et al. 1952, 162).

Der Wissenserwerb stellt auf die Aneignung von verkörperlichten Fähigkeiten ab. Die Ausbildung von Blicktechniken steht an erster Stelle. "Was nützt einem jungen Forscher, einem Experten, der sich in fremdem Lande vor eine Forschungsaufgabe gestellt sieht, alle Bücherweisheit, wenn Blick und Beobachtungsgabe nicht geweckt sind" (Brockmann-Jerosch et al. 1952, 168)? Über die Blicktechniken wird der Körper sowohl zum explorierenden Wahrnehmungsorgan als auch zum sensiblen Messinstrument (Heintz et al. 2004, 132). Es gilt zunächst, die einzelnen Forschungsobjekte aus dem Universum der Details zu filtern. Parallel dazu muss ein klassifizierender Blick entwickelt werden. Im Fall der geologischen Exkursionen half die "sichere Führung durch des Meisters Hand", an der Überfülle der Eindrücke nicht zu verzweifeln (Brockmann-Jerosch et. al. 1952, 162). Das Erlernen des möglichst objektiven, genauen Blicks wurde mit Zeichenübungen unterstützt, der Exkursionsleiter zeigte sich dabei "unermüdlich im Erklären, Ermutigen und Korrigieren". Nahmen an den Exkursionen auch Ingenieure, Land- und Forstwirte teil, musste sich die Gruppe darin üben, Gefälle, Rauminhalte oder Geschwindigkeit und Menge der Wasserführung von Flüssen zu schätzen. An den ingenieurbetonten Beispielen wird besonders anschaulich, dass der instrumentelle Einsatz des Blicks mehr war als eine Methode: Es stellte sich allmählich Erfahrungswissen ein, das in neuen Situationen immer wieder vergleichend abgerufen werden konnte.

Auf Exkursion war der Professor in seinem Element. Er machte Forschung in all ihren Stadien nachvollziehbar, ohne dabei das "laute Denken" zu vergessen, das es den Studenten erlaubte, Anschluss an seine Wissenswelt finden. Auch das Forschungshandeln, die sichere Hand oder die kontextualisierende Interpretation, führte er an immer neuen Beispielen vor.

Selbstständige Feldarbeit bedeutete darüber hinaus, sich die Umgebung in einer Weise vertraut zu machen, die neue Entdeckungen und Fragestellungen ermöglichte. Diese Forscherhaltung wurde durch Vorträge des Professors vor eindrücklicher Kulisse stimuliert, die jeden Hörsaal überbot: Sie konnten in der Erinnerung von Brockmann-Jerosch zu "wahren Bergpredigten" werden, die Erleuchtungscharakter hatten.

Botanische und geologische Exkursionen unterschieden sich in Ablauf und Rhythmus, weil ihre Forschungsgegenstände je eigene Sammlungstechniken erforderten. So dauerte das Aushämmern von Gesteinsproben seine Zeit. Neben der geduldigen Anleitung durch Heim war dabei auch manuelles Geschick gefragt. Bis zum geeigneten Ort wurde zügig durchgegangen. Während der Tour wurden Anfänger im richtigen Bergsteigen, "im Traversieren steiler Hänge" unterrichtet, die Sicherung der Teilnehmer durch Seile war bei geologischen Exkursionen keine Seltenheit.
Botaniker dagegen pflegten auf dem Weg "jeden Augenblick still zu stehen" und Pflanzen zu betrachten und zu bestimmen. Diese waren schnell gepflückt und in Pflanzenpapier und Gitterpresse verwahrt. Die Menge indes konnte beträchtlich sein. Die Exkursionsprogramme in den 1920er-Jahren empfahlen für eine mehrtägige Exkursion, 150–200 Bogen Pflanzenpapier mitzunehmen (ETH Bibliothek, Archive, Hs 1368:9 Nachlass Frey-Wyssling, Botanisch-zoologische Pfingst-Exkursionen ins Wallis für Förster Lehramtskandidaten und Pharmazeuten 22.–25. Mai 1920).

In beiden Disziplinen implizierte Körpereinsatz auch körperliche Robustheit: Die Touren waren lang, geeignete Ausrüstung war erforderlich, die Witterung konnte stets zur echten Herausforderung werden. Bei den Geologen wogen die "Schätze, 'die die Motten nicht fressen'", so ein Bonmot Heims, zudem ungemein schwer.

Die Sozialisierung zum Forscher – und damit die akademische Reproduktion – verlief unter anderem über das Erlebnis der gemeinsamen Wanderungen und Mahlzeiten. Nicht zuletzt wirkte die charismatische Figur des Professors integrativ, der die jungen Leute abends mit Wissenschaftsklatsch und Anekdoten unterhielt und sie so in vielerlei Hinsicht an die akademische Welt heranführte. Umgekehrt trugen und tragen die Studierenden zum lokalen Wissenschaftsbetrieb bei: Besonders schöne oder seltene Fundstücke wurden üblicherweise der hochschuleigenen Sammlung einverleibt, Generationen von Qualifizierungsarbeiten sind Teil botanischer Langzeitversuche auf eigenen Testgeländen (Brockmann-Jerosch et. al. 1952, 165; Heintz et al. 2004, 117). Diese Beispiele setzen auf ihre Weise das wissenschaftliche Ideal des kollektiven Erkenntnisgewinns um. Die Semantik der Einheit von Lehre und Forschung fand so ihre Entsprechung in einer Einheit von 'Lernen und Forschen'.

Andrea Westermann

   
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