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Politkarrieren

 
   
           
 

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Die Eröffnungsfeier vom 15. Oktober 1855

Auffällig nüchtern gestaltete sich der Festakt zur Eröffnung des eidgenössischen Polytechnikums. Die betonte Normalität war jedoch keine Selbstverständlichkeit, sie gehorchte vielmehr der Logik einer "invention of tradition", eines aufwändig erzeugten Traditionseffekts.

"Die gestern stattgehabte Einweihung des schweizerischen Polytechnikums war nicht vom Wetter begünstigt; gleichwohl darf das Fest als gelungen betrachtet werden", berichtete die Neue Zürcher Zeitung über die offizielle Eröffnung des eidgenössischen Polytechnikums am 15. Oktober 1855. Die Feierlichkeiten waren schlicht gehalten und beschränkten sich auf einen kurzen Festzug vom Rathaus bis zum Fraumünster und auf die durch "bündige Reden" und Orgelspiel umrahmte Übergabe der Stiftungsurkunde. Die wichtigsten Stationen des Festprogramms gab die Tagespresse bereits im Voraus bekannt und so musste der ziemlich überraschungsfreie Festakt wie eine Bestätigung des Erwarteten erscheinen. Doch diese prononcierte Normalität war trügerisch: Nicht nur wurden alle am Festakt Beteiligten von der neuartigen "Schule", dem eigentlichen Grund der Feier, in eine noch kaum bekannte Pflicht genommen. Auch das Festprogramm selbst hatte einige Klippen zu umschiffen, so etwa die unausgesprochene Ortlosigkeit des Polytechnikums, das zur Zeit seiner Eröffnung noch nicht über ein eigenes Schulgebäude verfügte.

Dass sich die Festgemeinde im Fraumünster und nicht in der Zürcher Hauptkirche versammelte, ist kein Zufall: Das Grossmünster, stark mit der unmittelbar angrenzenden Theologenschule und der zwanzig Jahre zuvor gegründeten kantonalen Universität verbunden, musste auf jeden Fall gemieden werden. Mit dem Polytechnikum sollte eine "die besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse unseres Volkes" berücksichtigende Hochschule "ins Leben treten", eine "vaterländische Anstalt", die sich von bisherigen Instituten deutlich unterschied. In den Worten des Hauptredners Johann Konrad Kern, erster Schulratspräsident und massgeblicher Wegbereiter des Polytechnikums, wollte der Bund mit der Errichtung einer besonderen höheren Lehranstalt für technischen Unterricht "in eine Lücke eintreten". Gemeint war nicht nur die Lücke im schweizerischen Ausbildungsangebot für Ingenieure, welche "die Kantone und ihre Finanzen gelassen haben und lassen mussten". Die Schöpfer des Polytechnikums wurden nicht müde zu betonen, dass die in zahlreichen Evaluationen, Entwürfen, Sitzungen und Vernehmlassungen erst allmählich geformte polytechnische Schule ein innovatives und massgeschneidertes Produkt darstelle, eine betont "eidgenössische" Lösung, die zwischen ausländischen Vorbildern und kantonalen Vorgaben, zwischen wissenschaftlichen Ansprüchen und industriell-gewerblichen Interessen eine eigenständige Nische gefunden habe.

Die betonte Normalität, mit der das Polytechnikum bei seiner Eröffnung in die schweizerische Institutionenlandschaft eingepasst wurde, gehorchte somit nicht zuletzt der Logik einer "invention of tradition" (Eric Hobsbawm), der Logik eines mit rituellen und rhetorischen Mitteln erzeugten Traditionseffekts. Die republikanisch nüchterne Feier konnte zum einen als liturgisch sauber konzipierte Selbstbestätigung des noch jungen Bundesstaates gedeutet werden. Zum anderen wurde der beim Sitzen, Schreiben und Streiten erst allmählich entstehende Prototyp einer eidgenössischen Hochschule – eigentlich ein Flickwerk aus unzähligen unübersichtlichen Kommissionsentscheiden – erst durch den klar strukturierten Festakt und seine historischen Einbettungen in eine kommunizierbare Grösse übergeführt: in eine mit einer überblickbaren Vergangenheit und einer vielversprechenden Zukunft ausgestattete Bildungsinstitution.
Johann Konrad Kern (1808-1888): wesentlicher Förderer und erster Schulratspräsident des Polytechnikums.
Johann Konrad Kern (1808-1888): wesentlicher Förderer und erster Schulratspräsident des Polytechnikums.

Die Einweihungsfeier des 15. Oktober 1855 stellte den Abschluss einer gründlichen, über mehrere Jahre geführten politischen Debatte dar. Zuhinterst, fast vergessen und in aufgelöster Marschordnung gingen die Schüler, die bei dieser Inszenierung noch nichts zu suchen hatten und doch bereits ein wenig dabei sein mussten. "Die Anstalt soll eine öffentliche sein, u. man scheint die Eltern, deren Söhne an derselben gebildet werden sollen, an keinem Theile des Festes Theil nehmen lassen zu wollen. Die Anstalt ist für die Jugend, die Schüler errichtet worden, u. man schliesst gerade diese von der ganzen einen Hälfte des Festes aus", hatte Josef Wolfgang von Deschwanden, der erste Polytechnikumsdirektor, schon drei Wochen zuvor leicht verärgert seinem Tagebuch anvertraut. "Mittags Eröffnungsfeier des eidgenössischen Polytechnikums und abends den grössten Teil der Schüler in besoffenem Zustande. Wahrlich ein niederschlagender, ärgerlicher Anfang", lautete schliesslich sein Festtagsrapport (Gyr 1981). Die Schüler hatten offenbar schneller begriffen, dass das Fest eben doch nicht ihnen gegolten hatte, sondern primär dem Bundesstaat, der sich nun rühmen konnte, die nationalstaatlichen Träume zweier Generationen von Bildungspolitikern endlich an einem Ort geerdet und verankert zu haben.

David Gugerli und Monika Burri

   
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