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Politkarrieren

 
   
           
 

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Karl Schmid, ein Exot im Dienste der Gesellschaft

Der Generalstabsoberst, Rektor und Germanistikprofessor Karl Schmid pflegte den Exotenstatus des ETH-Geisteswissenschaftlers. Zugleich stellte er sich wie kaum ein anderer Angehöriger des Lehrkörpers in den Dienst der Gesellschaft.

Völlig unerwartet starb 1965 Schulratspräsident Hans Pallmann. Karl Schmid wäre der Wunschkandidat für dessen Nachfolge gewesen, doch er lehnte ab. In einem Brief an Bundesrat Tschudi begründete Schmid am 8. Dezember 1965 seine Entscheidung damit, er halte die Wahl eines Freifachprofessors, der nie ein Institut geführt, keine Prüfungen abgenommen und keine Fachgegenstände unterrichtet habe, für ungünstig. "Auch soll nicht verschwiegen werden", führte er weiter aus, "dass mir jene energische Bejahung des naturwissenschaftlich technischen Fortschritts (nach allen Richtungen) fehlt, die den Präsidenten der ETH kennzeichnen sollte."

Karl Schmid-Strasse: Der kurze Weg zwischen ETH und Universität erinnert an den Grenzgänger.
Karl Schmid-Strasse: Der kurze Weg zwischen ETH und Universität erinnert an den Grenzgänger.
Gekonnt setzte sich Schmid mit diesen Worten als polytechnische Randfigur in Szene, obwohl er während vier Jahren ETH-Rektor gewesen war und dem Bundesrat im gleichen Schreiben sogar mitteilte, dass ihn viele Professoren gerne im Schulrat sähen. Eine distanzierte Nähe zu den eidgenössischen Institutionen, sei es die ETH, die Armee oder das Staatswesen als Ganzes, zeichnete Schmid aus. Er entwarf sein Verhältnis zu diesen Einrichtungen stets als ein Dienstverhältnis, selbst der Schweizer Literatur sah er sich in diesem Sinne unterstellt.

So schrieb Schmid im erwähnten Absagebrief an Hans-Peter Tschudi: Nachdem er bereits während 2300 Diensttagen durch militärische Verpflichtungen beansprucht worden sei, ziehe er es nun vor, "unter einigermassen normalen Bedingungen" als Wissenschaftler zu arbeiten. Er käme sich "fahnenflüchtig" vor, wenn er seine geplanten kulturgeschichtlichen Arbeiten nicht endlich ausführte.

Die Dienste, die der Zürcher Germanist zu jenem Zeitpunkt geleistet hatte, sind bemerkenswert: Seit der Rekrutenschule 1927 stand der Soldat Schmid stramm zur Fahne. 1928 wurde er Artillerieoffizier, und 1943 trat er im Rang eines Majors in den Generalstab ein. 1951 folgte die Beförderung zum Oberst und 1952 wurde er Stabschef des 3. Armeekorps. Schmid war Zentralvorstandsmitglied der Neuen Helvetischen Gesellschaft und nahm nach 1945 als Mitglied des Patronatskomitees des Schweizerischen Aufklärungsdienstes SAD an dessen antikommunistischer Abwehrarbeit teil. "Dienst am Land" leistete er ferner von 1967 bis 1970 als Präsident der "Studienkommission für Strategische Fragen" und von 1969 bis 1972 als Präsident des Wissenschaftsrats. Diese Tätigkeiten führten ihn in die Führungselite des Landes ein, obwohl er selbst kein Exekutivamt bekleidete, sondern nur Berater blieb. Der "Dienst an der Literatur" ging dabei stets neben dem militärischen und politischen Engagement einher. Seit 1938 unterrichtete Schmid an verschiedenen Zürcher Gymnasien Deutsch und im Wintersemester 1943/44 hielt er seine erste Vorlesung als Germanistikprofessor an der Freifachabteilung der ETH. 1947 wurde er Mitglied des PEN Club und 1956 trat er dem Schweizer Schriftstellerverein bei.

1940 heiratete Schmid die Schauspielerin Elsie Attenhofer, deren Engagement im "Cabaret Cornichon" sich mit seiner politischen Linie recht gut deckte. Beide stellten sich innenpolitisch in die Perspektive der "geistigen Landesverteidigung" und bezogen aussenpolitisch gegen den Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus Stellung. Schmid tat dies 1939 bis 1943 als Vortragsredner der militärischen Propagandaabteilung "Heer und Haus" und danach an der ETH. Das heutige Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften D-GESS wurde in den 1930er-Jahren vom Bundesrat und der ETH-Leitung im Rahmen der nationalen Kriegspropaganda mobilisiert. Der Bundesrat sah in der Freifachabteilung einen "gemeinsamen geistigen Treffpunkt", welcher der nationalen "Kulturwahrung und Kulturwerbung" dienen sollte.
Karl Schmid und Philipp Etter an der 100-Jahr-Feier der ETH 1955.
Karl Schmid und Philipp Etter an der 100-Jahr-Feier der ETH 1955.

Um dies zu erreichen, wurden öffentliche Freitagsvorträge und ein Obligatorium eingeführt, dass die Studierenden zum Besuch von geistes- und staatswissenschaftlichen Veranstaltungen mit vaterländischem Bezug verpflichtete.

Als Freifachprofessor erreichte Schmid ein beachtliches Publikum, auch über die ETH hinaus. Seine Interpretationen der Werke führender Schweizer Literaten wie Conrad Ferdinand Meyer oder Max Frisch machten ihn berühmt, weil er sich intensiv mit deren Verhältnis zum Schweizer Staatswesen beschäftigte und seine Erkenntnisse eloquent darbot. Schmid analysierte das "Unbehagen im Kleinstaat" in einer so einfühlsamen Weise, dass sowohl das politische Establishment als auch das Publikum seiner abendlichen Vorlesungen an der ETH intellektuell vollauf befriedigt war. Er verstand es, die Kritik am Staat in eine staatserhaltende Kritik zu überführen. Schon für "Heer und Haus" hatte er in Luzern, Olten, Frauenfeld und anderswo Vorträge gehalten, bei denen sich die Würdigung schweizerischer Eigenart mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Beschränktheit des Kleinstaates verband. Nach dem Krieg wurde Schmid dann deutlicher. 1964 entwarf er sein Idealbild der Schweiz als "ein festes Haus, mit offenen Türen gegen die Nachbarn, mit weiten Fenstern gegen die Welt hin. Dann kann der Kleinstaat bestehen, wenn er das ist: fest und offen." Nachdrücklich betonte der aktive Antikommunist in der Zeit des Kalten Krieges die "Wahlverwandtschaft" der Schweiz mit dem angelsächsischen Raum, wo die europäischen Werte der Freiheit, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit erhalten worden seien.

Mit Botschaften dieser Art erfüllte Schmid die Hoffnungen, die Schulratspräsident Rohn 1943 in ihn gesetzt hatte. Die Berufung des jungen Germanisten war nämlich recht umstritten gewesen, weil er keine nennenswerten Publikationen vorzuweisen hatte und nicht habilitiert war. Dass Schmid trotzdem zum Ordinarius gewählt wurde, verdankte er seiner rhetorischen Stärke im Vortrag und der Bereitschaft, seine literaturwissenschaftlichen Überlegungen nach der politischen Aktualität auszurichten. Rohn hatte in der Berufungsdiskussion festgehalten, dass er nicht in erster Linie einen ausgewiesenen Wissenschaftler, sondern einen begabten Dozenten suche: "Die Aufgabe, die dem Vertreter der deutschen Sprache und Literatur an der E.T.H. zufällt, dürfte … schwieriger sein als an der Universität, weil der Lehrer ohne Prüfungszwang durch die Qualität des Gebotenen unsere Studierenden an sich ziehen muss." (SR2:1943, Sitzung vom 25.6.1943, 204). Schmid gelang gerade dies sehr gut, was den eloquenten Exoten während der Nachkriegszeit zum Prototypen des ETH-Freifachprofessors machte.

Daniel Speich

   
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