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Naturwissenschaften vs. Ingenieurwissenschaften

Acht Jahre nach ihrer Gründung wurde 1863 die damalige "eidgenössische polytechnische Schule" in einer vergleichenden Studie des Prager Professors Carl Koristka als "Zufluchtstätte der industriellen und technischen Wissenschaften" bezeichnet, "wie sie noch keiner der grössten Staaten Europas besitzt" (Zitat aus der ETH-Festschrift 1980; Kursivschrift durch den Autor des vorliegenden Berichts). Über Jahrzehnte hinweg schien es gegeben, dass das eigentliche "Kerngeschäft" der ETH in der Ausbildung von Ingenieuren auf universitärem Niveau besteht. Ingenieur bzw. Ingenieurin ist dabei eine Person, die in der Lage ist, naturwissenschaftliche und mathematische Erkenntnisse in Produkte umzusetzen, die andern Menschen Nutzen bringen, und dies unter Beachtung von ethischen, ökologischen und wirtschaftliche Randbedingungen. Aus dieser Zielsetzung lässt sich eine Schulstruktur unmittelbar herleiten. Um Missverständnissen vorzubeugen sei betont, dass die folgende Aufzählung in keiner Weise eine Rangordnung impliziert.

  1. Im Zentrum stehen die ingenieurwissenschaftlichen Departemente mit ihrem Auftrag, Ingenieurinnen und Ingenieure für hoch qualifizierte Aufgaben in Wirtschaft, Staat und Forschung vorzubereiten.
  2. Um eine mathematische und naturwissenschaftliche Grundausbildung der Ingenieurinnen und Ingenieure auf höchst möglichem und aktuellem Niveau zu garantieren, sind an entsprechenden ETH-Departementen hervorragende Wissenschafterinnen und Wissenschafter tätig. Es werden für sie Voraussetzungen geschaffen, die ihnen erlauben, Spitzenleistungen in der Forschung zu erbringen unter der Auflage, sowohl Basiswissen wie auch neu erarbeitete Erkenntnisse in die Ingenieurdepartemente einzubringen.
  3. In einem ETH-eigenen Bereich Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften stehen Dozierende zur Verfügung, welche in Zusammenarbeit mit den Ingenieurdepartementen die Aufgabe wahrnehmen, angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren ein Grundwissen in Bereichen wie Recht, Ethik, Ökologie, Wirtschaft und Management zu vermitteln. Wie ihren Kolleginnen und Kollegen in den Naturwissenschaften und der Mathematik werden diesen Dozierenden die Mittel gegeben, um sich mit eigenen Forschungsleistungen in ihren Disziplinen auf international hohem Niveau zu etablieren. Ihre Forschungstätigkeit sollte von der spezifischen Umgebung der technischen Hochschule geprägt sein und naheliegende Synergien nutzen – so soll zum Beispiel Technikgeschichte statt altrömischer Geschichte, Haftungs- und Patentrecht statt Verfassungsrecht, oder Techniksoziologie statt Religionssoziologie betrieben werden.

Es ist das Zusammenwirken dieser drei Säulen, welche es überhaupt erst rechtfertigen, von einer Ingenieurausbildung auf universitärer Stufe zu sprechen; die Vereinigung dreier Kompetenzen unter einem Dach ist es, was die ETH unter anderem von den Fachhochschulen differenziert. – Ingenieure sind genauso stolz auf einen von einem naturwissenschaftlichen Kollegen errungenen Nobelpreis wie hoffentlich die Naturwissenschafter auf die Weltpremière einer neuartigen Brückenkonstruktion.

Genau hier aber manifestiert sich unseres Erachtens ein zunehmendes Unbehagen in den Ingenieurwissenschaften gegenüber dem Werteverständnis der Hochschulführungsorgane: Wenn eine Publikation in "Science" und "Nature" mehr zählt als ein neuer, für die Industrie oder die Medizin revolutionärer Ansatz in der Sensortechnik oder eine signifikante Verminderung der Fehlerquote bei einem Spracherkennungssystem (um zwei mehr oder weniger willkürlich gewählte Beispiele zu nennen), so ist dies ein Indiz für eine Abkehr vom seinerzeitigen Auftrag der ETH. Für die Ingenieurwissenschaften stellen zwar neue Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Mathematik unabdingbare Voraussetzungen für die Innovation dar; ebenso anspruchsvoll sind aber ihre ureigenen Innovationsleistungen bei der Umsetzung dieser Erkenntnisse, bei der gesamtheitlichen Gestaltung und Optimierung von Produkten unter Beachtung wirtschaftlicher, ökologischer und ethischer Vorgaben und bei der Erfindung neuer Entwurfs- und Entwicklungswerkzeuge sowie Produktionsverfahren. Oder um es plakativ auszudrücken: Mit Nobelpreisen allein kommt die Schweizer Wirtschaft noch nicht auf Touren.

Fatal wäre es in diesem Zusammenhang auch, wenn die Ingenieurwissenschaften zunehmend als eine Domäne der Fachhochschulen betrachtet würden. Die Ingenieurausbildung wie auch die ingenieurwissenschaftliche Forschung braucht es sowohl auf universitärer Stufe wie auch auf Fachhochschulstufe, und dies wahrscheinlich in allen Fachdisziplinen. Das entscheidende Kriterium für eine entsprechende Differenzierung liegt in erster Linie in der Komplexität der entworfenen Produkte. Dieser Standpunkt wurde vom D-ITET seinerzeit in die Diskussionen zur Umsetzung der Bologna-Richtlinien in der Hochschulrektoren-Konferenz eingebracht.

Last but not least gibt auch der laufende Um- und Abbau des Departements Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften zu echter Besorgnis Anlass. Die gegenwärtig in den Ruhestand tretende Ingenieurgeneration erinnert sich noch lebhaft an die Vorlesungen zum Beispiel eines Karl Schmid oder eines Jean-Rodolphe von Salis – diese Persönlichkeiten haben ihr Denken und Handeln genau so geprägt wie das an den Fachabteilungen vermittelte Wissen.

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© 2005 ETH Zürich | 13.4.2005 | !!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!