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Molekularbiologie. Die Zukunft hat auch an der ETH einen neuen Namen

1963 erklärte Schulratspräsident Pallmann die Schaffung eines Zürcher "Forschungszentrums für Molekular-Biologie" zu einem "Traktandum von weittragender Bedeutung und komplexer Natur". Definitionsfragen und die mittelfristige Zukunft der Pharmaindustrie bestimmten die Debatte.

An der Universität Genf war Anfang 1963 ein Institut für Molekularbiologie
eingerichtet worden, im September desselben Jahres sollten sich Wissenschaftler auf europäischer Ebene als European Molecular Biology Organisation EMBO formieren (Abir-Am 1992). Der ETH-Professor Vladimir Prelog begründete im Auftrag des Schulrats die Notwendigkeit, mit einem molekularbiologischen Zentrum in Zürich an diese Entwicklungen anzuschliessen. "Was ist Molekularbiologie?" leitete der organische Chemiker Prelog sein Gutachten ein, das auf einer Schulratssitzung im Juli die Grundlage für die Beschlussfassung bildete (Schulratsprotokolle, SR2:1963, Sitzung vom 13.7.1963, 446).

Die Molekularbiologie erforsche, so Prelog, die grundlegenden und faszinierenden Fragen des Lebens. Tatsächlich lagen erste Kenntnisse über die "wichtigsten Bausteine der lebendigen Materie – Polysaccharide, Proteine, Nukleinsäuren, Wirkstoffe" bereits vor. Fundamentale biologische Vorgänge, z. B. die Mechanismen der enzymatischen Reaktionen, die Übertragung und Speicherung der Informationen oder die Vererbung, konnte man mit Hilfe molekularer Vorstellungen bereits nachvollziehen.

Prelog plädierte für ein "grosses einheitliches Wissensgebiet": Physik und Chemie mussten – dem internationalen Trend folgend – systematisch an der Erforschung biologischer Makromoleküle, der Biopolymere, beteiligt werden. Denn die Analyse molekularer Strukturen sprengten den Rahmen der klassischen Biologie, die sich mit makroskopischen und mikroskopischen Objekten beschäftigte. Der Chemieprofessor gab zu bedenken, dass die Fertigkeiten, die ein allgemein geschulter Biologe bisher mitbrachte, nicht ausreichten.

"Die erfolgreichen Forscher auf diesem Gebiete sind deshalb einerseits Mathematiker, Physiker, Chemiker oder Biochemiker, andererseits Biologen und Genetiker, die sich nach dem abgeschlossenen Studium auf ihrem Fachgebiet für die molekulare Biologie spezialisiert haben."

(Schulratsprotokolle, SR2:1963, Sitzung vom 13.7.1963, 447)

Marktorientiert forschen. Robert Schwyzers Hormonpräparat in der Verkaufsampulle.
Marktorientiert forschen. Robert Schwyzers Hormonpräparat in der Verkaufsampulle.
Doch nicht nur internationale Standards waren ein Argument für die Gründung eines Forschungszentrums. Prelog sah deutliche Forschungstraditionen: Die Schweiz zeichne sich durch ein besonderes "experimentelles Durchstehvermögen" gerade auf dem Gebiet der Naturstoffe aus, wie Staudingers Polysaccharide, Karrers Vitamine, Reichsteins Cortison oder Ruzickas Steroidhormone zeigten. Prelog zählte hier, dies wussten der Schulrat und die staatlichen Behörden, an die sich das Gutachten wendete, durchweg Nobelpreisträger auf. Das "Durchstehvermögen" hatte ein finanzielles Rückgrat: Alle vier Chemiker hatten erfolgreich mit der Basler Chemie kooperiert. Prelog machte klar, dass die Molekularbiologie "in Zukunft die Grundlagenforschung für die pharmazeutische Industrie" darstellen werde. Dort war man auf Innovationen dringend angewiesen, "dem jetzigen empirischen Vorgehen beim Suchen neuer Heilmittel" seien technische und ökonomische Grenzen gesetzt.

Der Name, der seit Oktober 1962 Kandidat für die zukünftige ETH-Professur für Molekularbiologie im Umlauf war, lautete denn auch Robert Schwyzer, Vizedirektor bei der CIBA AG, die ihrerseits gerade ein grosses biochemisches und molekularbiologisches Labor aufbaute. Am 9. Juli 1965 beantragte der Bundesrat, an der ETH ein Institut für Molekularbiologie und Biophysik zu gründen, dem Schwyzer vorstehen sollte. Dieser hielt seine offizielle Antrittsvorlesung für die Professur 'Molekularbiologie chemischer Richtung' im Juni 1966.

Darin gliederte Schwyzer das junge Forschungsfeld der Molekularbiologie in die beiden Gruppen von Biopolymeren auf, die Proteine und die Nukleinsäuren. In den Nukleinsäuren sei die gesamte Information für die Vererbung und für die Gestaltung des Stoffwechsels enthalten, so Schwyzer. Proteine hätten die Programmrealisierung zur Aufgabe, das heisst sie vollzogen die eigentlichen Stoffwechselprozesse.

"Die Information des Erbgutes wird also in Information zur Gestaltung des Stoffwechsels übersetzt: nach den in der Nukleinsäure enthaltenen Plänen werden Maschinen – eben die Proteine – gebaut, welche programmiert sind, alle Stoffwechselarbeiten auszuführen."

(Schwyzer 1966, 5)

Schwyzer selbst meldete sein Interesse auf der Seite der Stoffwechselforschung an. Statt mit statistischen Methoden die möglichen Kombinationen für die Aminosäurenfolgen bei Proteinen durchzuprobieren, reihte er sich in die von den organischen Chemikern an der ETH gepflegten Traditionen ein. Jene suchten in enger Kooperation mit der pharmazeutischen Industrie die Synthese von Naturstoffen zu erreichen. Schwyzer widmete sich damit den Biopolymeren in einer Weise, die bereits mittelfristig Anwendungserfolge, und das heisst Produktentwicklung, versprach.

"Wir haben versucht, von einer ganz andern Seite an das Problem heranzukommen, nämlich über die chemische Synthese – künstliche Herstellung – von biologisch wirksamen Polypeptiden, insbesondere der Proteinhormone. Mit dieser Methode lassen sich nach Belieben einzelne Buchstaben gegen andere austauschen oder ganze Abschnitte des Moleküls weglassen. Es können so auf systematische Weise alle Regionen des Moleküls abgetastet und auf ihren biologischen Informationsgehalt untersucht werden."

(Schwyzer 1966, 5)

Im Falle der Synthetisierung des Hormons ACTH, das die Funktion der Nebennierenrinde steuert und z. B. die Ausscheidung von Cortison und anderen Steroidhormonen veranlasst, habe man herausgefunden, dass eine bestimmte Aminosäurensequenz erkenne, von welchem Tier das Hormon stamme. Man habe diese antigen wirkende Sequenz bei der Synthetisierung weggelassen und damit ein Heilmittel geschaffen, "welches für den Patienten – im Gegensatz zu früheren, aus tierischen Drüsen isolierten Präparaten – absolut ungefährlich ist, weil es weder Immunreaktionen noch allergische Erscheinungen hervorruft. Es ist als Synacthen im Handel" (Ders., 5).

An den von Schwyzer formulierten Forschungsinteressen wird deutlich, dass die molekulare Genetik an der ETH Mitte der 1960er-Jahre noch nicht bearbeitet wurde. Diese Tatsache brachte den Professor für Molekularbiologie im weiteren Verlauf des Institutsausbaus so manches Mal in Legitimationsnot. Noch Anfang der 1980er-Jahre sah er sich zur Erklärung gezwungen, das Institut betreibe "molekulare Biologie im eigentlichen, nicht auf die molekulare Genetik eingeschränkten Sinn" (ETH-Bibliothek, Archive, Hs 1244:89, Nachlass Robert Schwyzer, Gedanken zur Zukunft des Institutes für Molekularbiologie und Biophysik der ETHZ 1982–1987, 20.10.1981, 1).


Andrea Westermann

   
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